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Archiv-Artikel

RENZO PIANOS NEUBAU DES WHITNEY MUSEUMS Zum Rausgucken

Bridge & Tunnel

OPHELIA ABELER

Ich bin ein Kind der Achtzigerjahre, da ist leider nicht dran zu rütteln. Die ohnehin schon wie aus der Totengruft klingende Musik bekam im Eissportzentrum, wo wir eingehakt unsere Runden drehten, noch mehr bedeutsamen Hall; die Texte klangen dank spärlicher Englischkenntnisse wichtig und richtig und das Eis glänzte grau-silbern unter unseren Stahlkufen. Bis die Sirene anging, die Schleifmaschine kam und man sich in der Pause zum Pinkeln aus den bis fast unter die Achseln reichenden Hosen schälen musste.

Diese Hosen waren Imitationen der Torero-Strampelhosen von Marithé et François Girbaud und Jean-Paul Gaultier, unseren Modeidolen, und Paris war die Stadt unserer Träume, noch vor London und New York (zu weit weg zum Hintrampen) oder Berlin (gefühlt am weitesten weg, eine Insel inmitten der DDR).

Als ich es endlich geschafft hatte, nach Paris zu kommen, kriegte ich mich überhaupt nicht mehr ein. So etwas schönes wie den Eiffelturm hatte ich praktisch noch nie gesehen, aber dann gab es tatsächlich noch etwas viel schöneres: das Centre Pompidou. Ich saß vor Rührung weinend am Brunnen von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely, das Erwachsenwerden verlor viel von seinem Schrecken, denn wenn man als Erwachsener so etwas bauen durfte, dann hieß das, dass alles möglich war, nichts vorbei war, es vielleicht sogar erst richtig losging.

Ich fragte, von wem das unglaubliche Haus da denn sei und bekam zur Antwort: Renzo Piano. Tagelang fuhr ich die Rolltreppen rauf und runter, das ging nämlich damals noch, ohne eine Karte zu kaufen. Ich war verliebt. Verliebt in Renzo Piano.

Berlin rückte wenige Jahre später viel näher. Zwischen Mittwochs- und Freitagsbars stolperten wir durch frisch ausgehobene Baugruben und das Kranballett. Der Potsdamer Platz war eines der größten neu zu erfindenden Areale und dass der größte Teil davon Renzo Piano in die Hände gelegt wurde, beflügelte meine Erwartungen. Hier musste dem unfassbaren Glück dieser Zeit einfach ein bauliches Denkmal gesetzt werden.

Doch irgendetwas lief gründlich schief. Meine große Liebe griff komplett ins Klo, mit allem, absolut restlos, von den spitzen Winkeln über die von der Farbe her an schlecht gewordene Fleischwurst erinnernden Fassaden, die sich als klapperdürre Terrakottastäbe entpuppten. Hinter diesen Fassaden sah es aus wie in einem Parkhaus, und überschminkte Grundy-UFA-Schnepfen feierten hier nach Dienstschluss Parties.

Gut, dafür konnte Renzo Piano nichts. Aber ich hasste ihn jetzt.

Inzwischen wohne ich in New York. Hier gibt es ein paar wirklich gute Neubauten, schön anzusehen oder zumindest interessant, das Cooper Union von Morphosis, das New Museum von SANAA oder das The Standard von Ennead Architects im Meatpacking District.

Als ich hörte, dass das Whitney Museum aus seinem herrlichen Marcel-Breuer-Bau an der Upper East Side auszieht und sich von Renzo Piano einen Neubau in direkter Nachbarschaft zum The Standard hinstellen lässt, bekam ich eine Angstattacke. Angst, Renzo Piano könnte das gesamte Viertel ruinieren, dem Standard die Aussicht und allen anderen den Blick aufs Standard – ich war mir sicher, er würde alles kaputtmachen.

Hat er nicht, er hat sich höflich und daher unentschieden wie ein Chamäleon der Umgebung angepasst, was dazu führt, dass das Whitney jetzt verschiedene Formen gleichzeitig hat, irgendwas zwischen Kreuzfahrtschiff, Flugzeugträger, Krankenhaus und Arzneifabrik. Die Außenhaut ist grau-silbrig wie das Eis der Eisbahn, und drinnen sieht es ein bisschen aus wie bei Ikea: weiß lasierte Pinienböden, nicht gerade überzeugend pigmentierte Wände, nervig industrielle Beleuchtungshardware, aber atemberaubende Ausblicke. Es ist ein Gebäude zum Rausgucken, nicht zum Draufgucken, und drinnen hängt, denn endlich ist der Platz dafür da, eine der an Irrtümern reichsten und daher sympathischsten Kunstsammlungen überhaupt.

Es ist bei der Führung durchs Haus, als ich von einem Architekturkritiker erfahre: Ich muss wohl in Richard Rogers verliebt gewesen sein. Er war Renzo Pianos Partner beim Bau des Centre Pompidou. Alles, was ich daran mag, stammt von ihm. Dem Potsdamer Platz hat er nicht viel genützt, und beim Whitney war er leider gar nicht dabei.

■ Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York