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Archiv-Artikel

Der große Kunstparcours

AUSSTELLUNGSMARATHON Das 2005 zunächst bescheiden aufgestellte Gallery Weekend zieht mittlerweile rund 20.000 Kunstinteressierte, Kuratoren und Sammler an – auch wegen der spannenden Nebenschauplätze

VON MELISSA CANBAZ

Als 2005 aus einer privaten Initiative heraus das Gallery Weekend gegründet wurde, sollte damit ein gewisser Standortnachteil Berlins und der Mangel an Sammlern ausgeglichen werden. Anders als bei Kunstmessen begann das Event im kleinen Kreis maßgeblicher Galerien, von denen es noch immer getragen wird. Die Teilnahme ist allerdings kostspielig: Vorausgesetzt, man wurde von Maike Cruse, die neben dem Gallery Weekend auch der abc art berlin contemporary als Direktorin vorsteht, eingeladen, können die Galeristen gegen eine Gebühr von rund 8.000 Euro teilnehmen.

Im Gegensatz zu Kunstmessen – wie dem Art Forum Berlin, die ihr Dasein recht erfolglos von 1996 bis 2010 fernab der Stadtmitte auf dem Berliner Messegelände fristete – sollte das Gallery Weekend, zunächst angesiedelt in der Auguststraße, attraktiver werden. Mit zuletzt rund 20.000 Besuchern, unter ihnen neben Kunstinteressierten auch zahlreiche internationale Sammler und Kuratoren, ist es selbstverständlich auch für die übrige Kunstszene Berlins interessant, Eröffnungen auf dieses Wochenende zu legen.

Sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen, ist gerade im jungen Berlin fester Bestandteil der Freizeitgestaltung. Dementsprechend ist seit einigen Jahren auch verstärkt innovative Kunst zu sehen. Die Galerie Isabella Bortolozzi etwa zeigt das Künstlerduo Calla Henkel & Max Pitegoff (1987 und 1988 geboren), die nebenbei in den letzten Jahren auch eine Bar und ein Theater betrieben haben und gerade den Ars-Viva-Preis 2016 des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft erhielten.

Die Galerie Bortolozzi, deren Eröffnungen stets geradezu überrannt werden, liegt gewissermaßen im Ballungszentrum des heutigen Geschehens. Am Schöneberger Ufer und auch entlang der Potsdamer Straße erstrecken sich zahlreiche Ausstellungsflächen. Eine weitere Kumulation befindet sich am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort ist beispielsweise die Galerie Croy Nielsen ansässig, die ebenfalls auf junge Positionen setzt. Neben der ukrainischen Künstlerin Olga Balema, die ihre Installationen im Hauptraum der Galerie zeigt, gibt es den temporären Raum The Apartment (die genaue Adresse wird an dem Abend der Eröffnung bekannt gegeben) eine weitere Doppelausstellung mit Darja Bajagić und Aleksander Hardashnakov.

Gängige „white cubes“ – also cleane Präsentationsräume, in denen nichts von den ausgestellten Arbeiten ablenkt – bestimmen schon lange nicht mehr das Setting für Ausstellungen. Ein Highlight dürfte daher auch der Standort der Galerie Johann König im nordwestlichen Kreuzberg sein. König zog vor gut zwei Jahren in die brutalistische Kirche St. Agnes und eröffnet am Gallery Weekend mit einer Schau der Künstlerin Katharina Grosse und des Bildhauers Jeppe Hein. Auch die Galerie Żak | Branicka bespielt einen sakralen Ort: In der Schinkelschen St. Elisabeth Kirche wird eine Installation von 83 Skulpturen der polnischen Künstlerin Magdalena Abakanowicz präsentiert. Eine Wiederentdeckung!

Mehr Skulpturales gibt es im Innenhof der Galerie Neugerriemschneider in der Linienstraße, wo die Künstlerin Renata Lucas eine Brunnenkonstruktion zeigt, deren überlagernde Segmente auf drei historische Brunnen der Stadt Bezug nehmen.

Überhaupt macht die Entwicklung des Gallery Weekends deutlich: Ausstellungsfläche und Architektur werden immer mehr zusammengedacht, und die Orte, an denen präsentiert wird, sind wohl inzwischen fast genauso wichtig wie die Ausstellungen. Nicht zuletzt für die Orte selbst – ist doch die Tatsache, dass die Kunst sich für einen neuen Bezirk erwärmt, ein Ausblick auf eine (zumindest aus der Sicht einiger) günstige Entwicklung in den Quartieren. Galerien, Projekträume und Off Spaces verteilen sich quer über die gesamte Stadt – von Neukölln über Kreuzberg bis Wedding und Lichtenberg.

Begleitet wird das Gallery Weekend von einem breiten Rahmenprogramm, mitbestimmt von über 100 Ausstellungsräumen, die nicht offiziell teilnehmen. Ein interessanter Nebenschauplatz dürfte der Kunstraum Bethanien am Mariannenplatz sein, der mit seinem Kongress der Möglichkeiten „Versuchslabore zu Kritik und Praxis in Zeiten des Internets“ vorstellt und bis zum 10. Mai neben einer Ausstellung auch Konferenzen zum Thema abhält. Auch sehenswert dürfte das Projekt „The Matter of Critique“ in den Kunst-Werken sein. Dort richtet der niederländische Künstler Renzo Martens ein Büro für das von ihm gegründete Institute for Human Activities (IHA). Das IHA konzentriert sich auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse im Kongo durch Akkumulation von Kapital: Durch die Entwicklung einer Kunstszene in Kooperation mit den Plantagenarbeitern vor Ort soll eines der ärmsten Länder der Welt „gentrifiziert“ werden. Über die nächsten Wochen wird Martens das Büro dazu nutzen die Voraussetzungen für das Projekt zu diskutieren. Die Arbeiten von Martens und der Congolese Plantation Workers Art League sind parallel auch im KOW in der Brunnenstraße zu sehen.

Weiter westlich in Charlottenburg dürfte der Andrang genauso groß sein, auch hier präsentieren alteingesessene und neu zugezogene Galerien interessante Positionen. Die multimedialen Werke der norwegischen Künstlerin Ida Ekblad wurden von der Fachpresse jüngst groß gefeiert; sie teilt sich die Ausstellungsräume in der Galerie Max Hetzler mit Navid Nuur, der zeitgleich auch bei der Galerie Plan B in Schöneberg ausstellt.

Wer sich die Arbeiten von Isa Genzken gänzlich und in Ruhe anschauen möchte, sollte diese Eröffnung vielleicht einfach überspringen und in den darauffolgenden Wochen vorbeischauen – laufen die Ausstellungen alle doch noch Wochen nach dem Gallery Weekend.

■ Gallery Weekend Berlin: Rund 45 Galerien laden zu Vernissagen und einem umfangreichen Rahmenprogramm ein, am Wochenende gibt es verlängerte Öffnungszeiten: Fr. 18–21 Uhr, Sa. + So. 11–19 Uhr, 1. – 3. 5., Programm: www.gallery-weekend-berlin.de