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Archiv-Artikel

Das Ende der Kohle hat schon begonnen

ENERGIE In Deutschland wird gerade um die Kohle gerungen. China ist schon weiter, und in den USA gehen dieses Jahr wohl 44 Meiler vom Netz

Das Rheinland, Berlin und die Welt

■ Der Protest: Im Braunkohletagebau Garzweiler wollen Umweltschützer am Samstag mit einer 7,5 Kilometer langen Menschenkette für den Kohleausstieg demonstrieren. RWE will dort im Rheinland nach Angaben der Kohlegegner weitere 3.000 Menschen umsiedeln und noch 30 Jahre Kohle fördern. Die Gewerkschaft IG BCE, die Betriebsräte von Vattenfall Europe Generation und der Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft rufen zu einer Pro-Kohle-Demonstration in Berlin auf.

■ Die Kohle: Steinkohle deckte in Deutschland im Jahr 2014 18 Prozent des Strombedarfs, Braunkohle 25,6, erneuerbare Energien 25,8 Prozent. Die Bundesregierung plant 55 bis 60 Prozent bis 2035, bis 2050 sogar 80 Prozent Erneuerbare – die Kohle muss also vom Netz. Weltweit werden laut Internationaler Energieagentur 30 Prozent des gesamten Energiebedarfs durch Kohle gedeckt, die Hälfte wird in China verfeuert. In Deutschland sind es 3,1 Prozent des globalen Bedarfs. (ia)

AUS DEN USA BERNHARD PÖTTER, AUS PEKING FELIX LEE, AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT

Bis vor Kurzem gab Sigmar Gabriel ein prima Feindbild für die deutschen Umweltschützer ab. Im Zweifel gegen Sigmar – ob es um Einschnitte ins Erneuerbare-Energien-Gesetz, um das Freihandelsabkommen TTIP oder um die umstrittene Erdgasfördertechnik Fracking geht. Die Gewerkschaften standen hingegen meist treu an der Seite des Bundeswirtschaftsministers.

An diesem Samstag ist es erstmals umgekehrt: Wahrscheinlich mehrere tausend Menschen werden nach einem Aufruf diverser Umweltverbände eine acht Kilometer lange Menschenkette durch das rheinische Braunkohlerevier bilden, gegen die Kohle und für: Sigmar Gabriel, den sie ausdrücklich unterstützen. Gewerkschafter versammeln sich hingegen gleichzeitig in Berlin, um gegen den SPD-Minister zu protestieren.

Es geht um die Kohle, speziell die Braunkohle, die in Deutschland trotz Energiewende immer mehr Strom produziert. Gabriel macht derzeit einen ersten bescheidenen Schritt, um den Kohlestrom zu reduzieren. Kein Kohleausstieg, aber der Energieminister will die ältesten deutschen Kohlekraftwerke ab 2017 finanziell schlechterstellen. Je nach Alter des Kraftwerks soll es eine Sonderabgabe pro Tonne ausgestoßenes Kohlendioxid geben, wenn sie zu viel davon in die Luft blasen. Ein kleiner Beitrag zu dem großen Ziel, auf das sich Deutschland international verpflichtet hat: die Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken. Derzeit sieht es schlecht damit aus.

Dabei ist der Konflikt um die Kohle alles andere als ein deutscher Sonderweg. Die chinesische Führung hat den Kampf gegen die Luftverschmutzung zur Chefsache erklärt und als Hauptgegner die Kohle entdeckt. Landesweit mussten Tausende Stahlöfen, Kohlekraftwerke und Industrieanlagen dichtmachen. Das Land investierte vergangenes Jahr 82 Milliarden Dollar in neue Wind-, Wasser- oder Solarparks, fünfmal so viel wie in fossil befeuerte Kraftwerke. Der Kohleverbrauch stieg jahrzehntelang steil an. 2014 sank er, 2015 sieht es ebenfalls danach aus.

In den USA führt Präsident Barack Obama eine CO2-Abgabe ähnlich der deutschen ein, allein in diesem Jahr sollen Dutzende Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Die Republikaner werfen dem Präsidenten vor, einen „War on Coal“ zu führen, einen Krieg gegen die Kohle.

Überall also wird dieser Krieg geführt, zum Teil mit absurden Horrorzahlen. In Deutschland läuft die Energiegewerkschaft IG Bergbau Chemie Energie gegen Gabriels Pläne Sturm. 800.000 Arbeitsplätze in Energiewirtschaft und energieintensiver Industrie sieht deren Vorsitzender Michael Vassiliadis bedroht. Durch einen „Dominoeffekt“ würden einzelne stillgelegte Kraftwerke die Rentabilität der ganzen Branche gefährden und zum „sozialen Blackout ganzer Regionen“ führen, behauptet Vassiliadis unter Berufung auf eine Kurzstudie der US-Investmentbank Lazard.

Die Schwestergewerkschaft Verdi hingegen positioniert sich in letzter Zeit nicht mehr ganz so klar für die Kohle. Das hat seine Gründe: Verdi hat viele Mitglieder in Stadtwerken, von denen keine Unterstützung für den Pro-Braunkohle-Kurs kommt – im Gegenteil. In einem offenen Brief bezeichneten diese Woche 75 Stadtwerke Gabriels Kohleabgabe als „ausgesprochen zielführendes Instrument“ für den Klimaschutz, heißt es in dem Schreiben. Zudem haben sich über 50 Ökonomen und Energiewissenschaftler in einer gemeinsamen Erklärung hinter Gabriels Plan gestellt. „Die von Kritikern beschworenen Dominoeffekte bei Kraftwerken und die Horrorzahlen zu Arbeitsplätzen sind wissenschaftlich nicht haltbar“, sagt etwa Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Felix Matthes vom Öko-Institut kommentiert die Kurzstudie so: „Wenn Lazard seine anderen Investments auch so kalkuliert, würde ich mein Geld nicht dort anlegen.“

Unterstützung bekommen die Kohlefans der Gewerkschaften von den Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen und von der Bundestagsfraktion der Union. Doch diese lässt Gabriel bisher an sich abprallen. Seine Vorschläge seien mit Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt. Wer diese ablehne, müsse „andere machen“, sagte er am Mittwoch – oder sich „öffentlich dazu bekennen, dass wir vom Klimaschutzziel abrücken sollen“.

Genau das deutet die Gewerkschaft IG BCE tatsächlich an. Man dürfe „die Energiepolitik nicht allein unseren selbst gesetzten CO2-Einsparzielen unterordnen“, schreibt deren Chef Vassiliadis im Aufruf zur Demonstration. „Zumal es für das Weltklima wichtiger wäre, dass uns andere Länder, allen voran China, bei der Energiewende nacheifern.“

Was der deutsche Gewerkschaftsboss offenbar nicht weiß: China eifert den Deutschen nicht nach, sondern schreitet mit großen Schritten voran.

Praktisch unbemerkt deutet sich in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt eine Revolution an. Der Kohleverbrauch und die Kohleproduktion in China sind im vergangenen Jahr erstmals seit Jahrzehnten gesunken. „2014 hat es eine unglaublich schnelle Entkopplung von Wachstum und Stromverbauch in China gegeben“, sagt Carlos Fernandez von der Internationalen Energieagentur, „wir versuchen noch, das zu verstehen.“ Weil das Land den Kohlehunger und den Treibhausgasausstoß der Welt dominiert, macht sich der Rückgang sofort bemerkbar: Überraschend haben 2014 die durch die Energiewirtschaft verursachten CO2-Emissionen nicht zugenommen – das gab es bisher nur in Zeiten großer Wirtschaftskrisen.

Ein Hoffnungsschimmer für die nächste UN-Klimakonferenz Ende des Jahres in Paris. China scheint es ernst zu meinen – auch wenn es eher ein Nebenprodukt des Kampfs gegen den Smog ist.

Die Frage ist, ob die Entwicklung von Dauer ist. Dazu gibt es zwei Versionen: „Der Hauptgrund ist das langsamere Wirtschaftswachstum“, sagt Qi Ye, Direktor des Zentrums für Klimawandel an der Pekinger Tsinghua-Universität. Der überhitzte Immobilienmarkt habe sich abgekühlt. Auch werde die Industrie umstrukturiert. Das habe die Nachfrage gesenkt.

Energieexpertin Yan Li von Greenpeace ist dagegen optimistischer: Die Wirtschaft war 2014 trotz schwächerer Konjunktur immerhin noch um 7,4 Prozent gewachsen, während die Stromproduktion kaum zunahm und die Kohleproduktion erstmals sank. „Der Kohleverbrauch entkoppelt sich vom Wachstum“, sagt sie. „Die Spitze des Verbrauchs ist in Reichweite.“

Einen ähnlichen „Krieg gegen die Kohle“ führt die andere CO2-Supermacht USA. Seit dem 16. April gilt dort ein neuer Grenzwert für den Ausstoß von Quecksilber aus Kohlekraftwerken – und schon gibt es erste Opfer: Die Kohlemeiler im Yates Power Plant im US-Bundesstaat Georgia sind nach 65 Jahren vom Netz, sieben Generatoren geben nun nur noch eine passende Filmkulisse ab – hier werden Szenen für die Zombieserie „The Walking Dead“ gedreht.

Weil ab Juni zusätzlich niedrigere CO2-Grenzwerte in den USA gelten, werden in diesem Jahr vermutlich 44 Kohlekraftwerke auf einen Schlag stillgelegt. Die hätten so viel Leistung wie alle deutschen Kohlemeiler zusammen. Nach Schätzungen des US-Umweltverbands Sierra Club könnte in zehn Jahren die Hälfte der Kohlekraftwerke der USA vom Netz sein. Allerdings auch deshalb, weil in den USA Erdgas extrem billig ist dank der umstrittenen Fördermethode Fracking – das ist die Kehrseite des allmählichen Kohleausstiegs.

Doch trotz der Entwicklung in China und den USA besteht die Gefahr eines Bumerangeffekts: Weniger Kohleverbrauch bedeutet ein weltweit größeres Angebot und Preisverfall – der Verbrauch könnte sich damit verlagern. Zwar wird Kohle in Europa unwichtiger, aber Länder wie Indien, Indonesien, Malaysia oder die Philippinen planen neue Kraftwerke. Australien mit einer Regierung, die den Klimawandel für einen Witz hält, baut gerade massiv seine Kraftwerke, Minen und Häfen für den Export aus. Der Markt allein wird es also nicht richten.

Genau deshalb ist Deutschland in der Debatte so wichtig. Zwar weist die IG BCE in einer Broschüre darauf hin, dass der Anteil Deutschlands an den weltweit ausgestoßenen Treibhausgasen nur 2,5 Prozent beträgt. Doch Deutschland ist als Vorbild wichtig, sagt die US-Energieexpertin Jennifer Morgan vom World Resources Institute: „Die anderen Ländern sehen genau hin, ob Atom- und Kohleausstieg zusammen gelingen. Wenn die Emissionen hier steigen, ist das ein gutes Argument für alle Gegner des globalen Klimaschutzes“, sagt sie. Deutschland gelte als innovativ und als ein Land, das „diese Probleme auch mit einem gerechten Übergang für die Betroffenen lösen kann“.