Kacheltisch und Dauerwelle

KLISCHEE Wie sieht ein Hartz-IV-Wohnzimmer aus? Kunststudentin Jana Merkens hat versucht, sowohl Vorstellung als auch Realität abzubilden

Ach ja, guck, stimmt, die haben ja nicht nur den Kacheltisch, sondern auch die Katzenhaare überall!

VON HELKE ELLERSIEK

Kann man Klischees in Frage stellen durch Klischees? Offenbar hat die bildende Kunst da Sonderregeln. Eine junge Kunststudentin will die Vorurteile gegen Hartz-IV-Empfänger bekämpfen – indem sie sie produziert. Sie hofft, dass das klappt.

So sieht es aus, das Hartz-IV-Klischeewohnzimmer: Kacheltisch, Gelsenkirchener Barock, Couchgarnitur, garniert mit zwei Hardcorehartzern mit Feinrippunterhemd und Dauerwelle sowie schreiendem Balg. Tierhaare am Sofa, Bier auf dem Tisch: Da freut sich jeder Zuschauer von Mitten im Leben, jeder brave Leistungsträger. So sind ’se, die Sozialschmarotzer! Aber halt: Das hier ist kein Ausstattungsseminar von RTL – das ist ein Kunstprojekt.

Jana Merkens ist 24, studiert an der privaten Alanushochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Sie hat sich in den Kopf gesetzt, ein realistisches Bild von Hartz-IV-Empfängern zu zeichnen. Außer dem Klischeewohnzimmer hat sie zwei weitere gebaut: das einer ehemals gut situierten, nun zwangsgeräumten BWLerin und, Nummer drei, das Zimmer von Werner, dem Flaschensammler mit dem müden Blick und dem Alkoholproblem. Sie sind vereint unter dem Namen „Die Gesichter von Hartz IV“.

Sie hat in sozialen Netzwerken nachgefragt, was sich denn die Leute unter Hartz-IV-Empfängern vorstellen. Die Stichworte fielen ganz schnell. So wirkt der Mob am Entstehen eines Kunstwerks mit, das den Mob zum Nachdenken bringen soll. Und irgendwo da hat sich Merkens ein bisschen verhakt. Das nagende Gefühl, das sich beim Betrachten der detailreichen Zimmer einstellt: Das hier bekämpft keine Klischees – das Projekt produziert sie. Es entwickelt sie sogar weiter. In dem Klischeewohnzimmer hält „Peggy“, die Klischeehartzerin, ein Schreiben vom Arbeitsamt in der Hand, das ihr die Kostenübernahme der Smartphone-Allnetflat genehmigt. Sie habe ja angegeben, dass sie das zur Jobrecherche benötige. Sollen dadurch Leute, die durch das Projekt „zum Nachdenken angeregt“ werden sollen, ins Grübeln kommen? Das Schreiben wirkt viel eher wie das letzte Argument für empörte Leistungsträger, jetzt auszurufen: „Es hakt! Und das von unserem Steuergeld!“

Das Problem des Projekts beginnt beim Namen. „Die Gesichter von Hartz IV“ wirkt wie ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit, und als Erstes bekommt man eine Argumentationshilfe für Generalisierung. Ach ja, guck, stimmt, die haben ja nicht nur den Kacheltisch, sondern auch die Katzenhaare überall! Und die kriegen auch noch alles bezahlt.

Bei all der Liebe zum Detail geht der Überblick verloren: Für Satire ist das Klischeewohnzimmer zu konsequent – anstatt auf Widersprüche gestoßen zu werden, die Vorurteile zum Wanken bringen könnten, liefert es einen Leitfaden zur Diskriminierung auf dem Silbertablett. Für Gesellschaftskritik jedoch ist Merkens zu inkonsequent: Der Übergang zwischen Realität, Übertreibung und Klischee verschwimmt, die Beschreibungen sind nicht zu Ende gedacht. Das Zimmer von Flaschensammler Werner schreibt sie mit „die Schattenseite von einem Leben mit Hartz IV“ an. Die Schattenseite? Was genau war noch gleich die Sonnenseite?

Merkens erklärt das Problem mit der Klischeeproduktion des ersten Zimmers damit, den Betrachtern keine Vorschriften machen zu wollen, wie sie das Werk zu interpretieren haben. Mit dem Wohnzimmer macht sie aber nichts anderes, als es die RTL-Ausstatter tun. Das als Gesellschaftskritik zu erklären, ist ungefähr so gewagt, wie Cindy aus Marzahn, die RTL-Allzweckwaffe und ach so lustige Abrundung zum Hartz-IV-Bashing, als Verfechterin für ein Grundeinkommen für alle zu interpretieren. Schließlich greift sie ja die Bildungsferne auf, die durch Armut produziert wird! Da werden die Leute aber auch nicht dazu angeregt, der Unterschicht mehr Geld für Bildung zur Verfügung stellen zu wollen.

Das Problem ist, dass man das Klischeewohnzimmer nicht als gewolltes Klischee erkennt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Leute, die Merkens „zum Nachdenken anregen“ will, sich von einem so detailreich und auch noch mit Informationen versehenen Bild umstimmen lassen. Was Merkens’ Klischeewohnzimmer von dem der RTL-Studios unterscheidet, ist vor allem die Motivation und die Ausbildung. Dass die Wirkungen sich unterscheiden, ist zunächst eine hoffnungsvolle Unterstellung.