: Musik und Literatur im Ohr
Hörbücher und Sound für Erwachsene: Die Vorleser, Dieter Hildebrandt, Evi & Das Tier sowie Stephen King
Wer des (Zu-)Hörens willens ist, sollte von guten Hörbüchern vielleicht gleich zwei Exemplare kaufen – eines braucht man schließlich zum Verschenken.
Die Vorleser
Erwischt man sich selbst, verliebt das Ohr an den Lautsprecher gedrückt bei einem kleinen Kichern, das – je länger die silbrig glänzende Scheibe im Player dreht – zu einem schallenden Gelächter heranwächst, weiß man: Das ist ein echter Schatz!
Dabei handelt es sich in diesem Fall um zwei CDs, auf der bekannte Kolumnisten und Comedystars ihre Erzählungen zum Besten geben. Ganz und gar ohne die Hilfe weiterer Schauspieler. Das, was dem Ohr sich hier bietet, ist der Autor pur.
Wie angenehm festzustellen, dass der Lieblingskolumnist nicht nur schreiben, sondern auch lesen – was sag ich: vortragen kann! Axel Hacke etwa im schlendrig schleifenden Deutsch mit einer Kolumne über unser aller Zivilisationskrankheit, das Handy. Und Fanny Müller tratscht und klatscht im norddeutsch-hamburgischen Akzent über die Schwächen ihrer Nachbarn.
Die herausragende Tonqualität der Aufnahmen, die auch die Auflacher und das Gekicher aus dem Publikum nicht verschweigt, tut ein Übriges für den gelungenen Ohrenschmaus. Hält der Autor inne, um den Aufruhr im Publikum und in seinem Inneren abzuwarten, entsteht keine peinliche Pause. Im Gegenteil, die Aufnahme gewinnt an Tiefe, das Erlebnis wird unmittelbar.
Wer viel Gelächter, gute Comedy und zugleich herausragende Literatur verschenken will, dem seien die beiden CDs Die Vorleser aus der Reihe Wortart des Westdeutschen Rundfunks ans Herz gelegt.
Nur griesgrämige Zeitgenossen werden sich über dieses Geschenk unterm Weihnachtsbaum nicht freuen.
Jess Jochimsen: Die Vorleser. „Kindheitskatastrophen“ und „Abgründe des Alltags“, Wortart, CD je 9,95 Euro
Vater unser
Ein Ehepaar hat sein Haus – ausgenommen die Küche – für den Rest seines Lebens an eine Fernsehgesellschaft vermietet, die dort mit ihm die Sendung „Old Brother“ produziert. Die Kameras des Fernsehteams ständig präsent, wühlt der Mann in den Tiefen des Ehelebens, sinkt auf den Grund, schnappt im Morast wohlüberlegt eine Trophäe nach der anderen, die er geifernd wieder nach oben trägt und ins Publikum schleudert – und siehe, egal was da auch kommt: Es sind Spiegel.
Manchen guten Autoren wünscht man bessere Ratgeber, die sie davor bewahrten, ihre Werke mangels Esprit selbst zum Besten zu geben, sondern Profis lesen zu lassen. Bei Hildebrandt hingegen betet man, die beiden CDs – Mitschnitte einer Live-Lesung – würden sich auf wundersame Weise vervielfachen. Denn am Meister der unvollendeten Sätze kann man sich schier schwummerig hören – wenn man ihm denn folgen mag.
Dieter Hildebrandt: „Vater unser – gleich nach der Werbung“. Live-Lesung, Random House Audio, 2 CDs, 19,50 Euro
Wilde Evi
Man muss sie hören und die beiden dabei sehen, denn das Duo lebt mit seiner Music-Comedy von der Bühnendarbietung – dachte ich jedenfalls bisher.
Doch Evi Niessner & Mr. „Das Tier“ Leu interpretieren eigene Stücke mit ebensolcher Lässigkeit wie die von Cole Porter, Duke Ellington oder Screamin J. Hawkins: mal bluesig, mal verrucht, mal glockenhell – immer Stimme ohne Ende. Musik – auch Barmusik –, die man am späten Abend auflegen und sich selbst dann mit einem Glas in der Hand zurücklehnen sollte.
Evi & Das Tier: „My Room“. Wortart, 15,95 Euro (Das Duo ist derzeit in Berlin auch live zu erleben – man sollte es sich nicht entgehen lassen.)
Königliches zum Fest
Die Inkarnation von Edgar Allen Poe – so hat sich Stephen King in viele Köpfe eingegraben. Die einen mögen ihn, weil er so gut ist; die anderen hassen ihn, weil er so gut ist. Seine Novellen gehören zu den weniger bekannten Werken, vielleicht weil sie mit wenig Getöse und bar des wohlbekannten Horrors auskommen – eigentlich. Doch muss man nicht immer einen Knall hören, um zu wissen, wann die Tür zugefallen ist. Stand by me ist die Geschichte von Krieg und Frieden zwischen Jungs, komprimiert auf zwei Tage, voll bizarren Humors und zum Teil urkomisch.
Eine Leiche wird gefunden – ein Junge gleichen Alters –, mutmaßlich verunglückt. Doch die Sache ist streng geheim, und das muss sie vorerst auch bleiben. Also erklären die vier Jungs ihren Eltern, sie wollten gemeinsam die Nacht zeltend verbringen. Stattdessen aber machen sie sich auf den Weg, den Toten anzusehen. Dabei durchwandern sie nicht allein 25 Meilen, sondern die dunklen Mythen der Kindheit mit Mut und Wille, mit Leid und Erdulden, erzählt im Rückblick eines jetzt Erwachsenen. Aber wahrscheinlich können solche Geschichten nur Jungs verstehen. Die Story ist hervorragend interpretiert von Udo Schenk, so als wisse er, worüber er spricht.
Die zweite Novelle Atemtechnik hingegen ist eine Geschichte in der Geschichte – oder sind es mehrere? Auch diese ist – versprochen – kein Splatter-Trip, sondern ein sanfter Blick in die Abgründe der Seelen. „Die Geschichte zählt, nicht der Erzähler“, steht auf einem Kaminsims, vor dem sich alte Herren erzählenderweise zu einem mysteriösen Club versammeln – ein Motto, das jedoch dieser Erzähler (Joachim Kerzel) mit seiner Interpretation ad absurdum führt.
Eine Warnung gleichwohl zum Schluss: Atemtechnik ist ein Stück, das sich Schwangere auf gar keinen Fall anhören sollten.
Stephen King: „Herbst und Winter“. Zwei Novellen, Lübbe Audio, 8 CDs, 39,90 Euro
EMPFOHLEN VON MARIA LESHER UND ANDREAS LOHSE