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Archiv-Artikel

„Eine Reise ins Herz der Finsternis“

RECHTE ERLEBNISWELTEN Wer Kulte wie den um Jörg Haider verstehen will, muss Karl May oder David Schalko lesen

David Schalko

■ geboren 1973, lebt in Wien. Wurde bekannt mit Fernsehsatiren wie „Sendung ohne Namen“ oder „Das Wunder von Wien“, aktuell mit Josef Hader in „Aufschneider“. „Weiße Nacht“ ist im Czernin Verlag erschienen. Foto: Pertramer

VON ANDREAS FANIZADEH

taz: Herr Schalko, „Heimreise statt Einreise“, wer hat das im Wahlkampf zuletzt plakatiert?

David Schalko: In Österreich hätte ich gesagt, die FPÖ. Aber es klingt fast ein bisschen zu intellektuell für die.

Es war die NPD im letzten Bundestagswahlkampf.

Da ist die FPÖ sehr nah dran.

Die NPD bekam in Deutschland dafür wenig Stimmen. In Österreich reüssieren mit ähnlichen Parolen gleich zwei rechtsextremistische Parteien, BZÖ und FPÖ. Woran liegt das?

Es gibt einen braunen Bodensatz in Österreich. Eine politische Unkultur, die über die ständige Verharmlosung des Nationalsozialismus funktioniert. In Deutschland gibt es zur NS-Vergangenheit eine kritischere öffentliche Haltung. Außerdem schaffen es die Rechten in Österreich sehr clever, die sozialdemokratischen Wähler abzuholen.

Wie machen sie das?

Durch Präsenz und vorgetäuschte Volksnähe. So blöd das klingen mag: Der SPÖ ist das Ressentiment abhandengekommen. Das man so wie früher sagen kann: „Die Kapitalisten!“ Das wird nicht mehr benutzt und würde man ihnen auch nicht mehr abnehmen.

Wofür in Deutschland die Linkspartei zuständig ist?

Ja, SPD und SPÖ können das nicht mehr bedienen. Dazu sind sie selber zu sehr Teil des Systems geworden.

Ist das nur schlecht?

Nein, aber eine Tatsache. Es gibt eine Übersättigung: Die Sozialdemokraten waren in Österreich die letzten vierzig Jahre in fast jeder Regierung vertreten. Es fehlt ihnen nicht an Werten, aber es fehlt eine Galionsfigur, die diese glaubwürdig formulieren kann. Die Rechten pflegen hingegen erfolgreich ihre Ressentiments, in erster Linie die Ausländerfeindlichkeit.

„Schluss mit falscher Toleranz: Deutsch ist Pflicht – keine türkischen Dolmetscher, keine Minarette.“ So wurde die FPÖ jetzt zweite Kraft im reichen Vorarlberg.

Viele wählen die Rechten mangels Alternative auf der Linken. Die anderen Parteien wirken sehr blass. Der österreichische Wähler ist haltlos und rechten Ideologien gegenüber sehr empfänglich. In Österreich ist die Opferideologie stark verbreitet. Dieses: „Der kleine Mann wird nicht gehört – jetzt zeigen wir’s den Großen.“ Die Rechten sind allerdings auch sehr geschickt im Mythenerzählen und Bilderschaffen. Das ist der Sozialdemokratie völlig abhandengekommen.

Was für Bilder meinen Sie?

Sie stellen den Jugendlichen eine ganze Erlebniswelt zur Verfügung. Diese Diskopolitik …

Diskopolitik?

FPÖ-Chef Strache hat damit viele der unter Dreißigjährigen erreicht. Die gewinnt er in den Diskotheken. Auf Wahlvideos singt er HipHop. Er geht mit einer billigen Dosenpopwelt und deren Mythen hausieren. Vordergründig geht es bei diesen Diskofantasien nicht um Inhalte, die werden so nebenbei untergeschoben. Der Wiener Journalist Armin Thurnher hat das als „Feschismus“ bezeichnet: Aus unterschiedlichen Schubladen werden Teile genommen, moderne Jugendlichkeit und christliche Werte gegen Islamismus werden zusammengeschraubt. Völlig unglaubwürdig, aber so funktioniert das.

„Abendland in Christenhand.“

Total lächerlich. Strache ließ sich auch erst eine Woche nach dieser Christenparole firmen. Jetzt braucht er auf einmal das Kreuz gegen den Islam und mutiert zum Christen. Die FPÖ macht sich ausschließlich darüber Gedanken, wie sie erfolgreich sein könnte – da geht es nicht um Haltungen. Und da die SPÖ vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, ist klar, wer am Ende die Wahlen gewinnt.

Ihr Roman „Weiße Nacht“ handelt – verfremdet, aber erkennbar – von Kärnten, Haiders letztem jungen Freund, der Landesmutter, tätowierten Chauffeuren. Warum haben Sie sich für diese Form entschieden?

Das Faktisch-Analytische wurde schon oft probiert. Ich habe das Buch aus einer poetischen Sichtweise formuliert, weil ich glaube, damit ein tieferes Verständnis des Phänomens zu bekommen.

Überhöhte Figuren wie Feuerhand im Dienstwagen, für was sollen sie stehen?

Das ist ein Spiel mit einer gewissen Karl-May-Ästhetik. Ich glaube, Karl Mays Abenteuermystizismus kommt sehr nahe an das Selbstverständnis von Figuren wie Haider heran. „Weiße Nacht“ ist ein schwarzer Karl-May-Roman. Eine Reise ins Herz der Finsternis, bizarr, komisch und nahe an der Innenwelt dieser rechten Lebenswelten angelegt. Das mag aus der Ferne unrealistisch wirken, ist es aber nicht.

Wer Kärnten verstehen will, muss Karl May lesen?

Genau. Durch Kärnten fahren und dabei Winnetou oder Old Shatterhand vor Augen haben. Bei einer Politik des mythologisierten Lebensabenteuers geht es nicht um verantwortliches Handeln. Es geht einzig um den Erfolg dieser Dosenfantasiebilderwelt, aus der sich die Inszenierungen speisen. Etwas weiter südlich weiß dies Berlusconi perfekt zu bedienen. „Weiße Nacht“ ist kein weiteres Buch über Haider, sondern über erfolgreiche rechte Machtästhetiken, die sich stark mit Esoterik und Katholizismus verbinden und als Gegenwelt zu Islamismus und anderen Ideologien darstellen.

„Ich glaube, Karl Mays Abenteuermystizismus kommt sehr nahe an das Selbstverständnis von Figuren wie Jörg Haider heran“

Der historische Katholizismus in Österreich stand aber in Opposition zu den Deutschnationalen?

Das mischt sich heute alles neu. Hitler war ja auch ein Opportunist, der sich dort bedient hat, wo es ihm am Erfolg versprechendsten erschien. Die in den letzten zwanzig Jahren geschaffenen Bilder funktionieren in den Köpfen der Menschen so gut, dass sie die tatsächliche Realität nicht mehr sehen. Die Grenzen sind dicht. Doch in den Köpfen vieler steht immer noch halb Ungarn vor der Tür und die Rumänen wollen Wien auffressen.

Sie haben sich intensiv mit Person und Milieu des verstorbenen Jörg Haider beschäftigt. Nach der Spaltung der österreichischen Rechten in BZÖ und FPÖ und vor allem mit dem Tod Haiders letztes Jahr dachte man: So, das war’s. Aber das Gegenteil ist der Fall?

Haider ist nach dem Tod noch größer geworden. Das ist eine österreichische Eigenheit: Wenn sie sterben, werden sie zu Heiligen, auch wenn sie Nationalsozialisten waren. Und wer sie nach ihrem Tod kritisiert, gilt als pietätlos. Mund halten ist die Losung. Der Mythos Haider ist so stark, dass dessen Nachfolger jetzt noch mehr Stimmen bekommen als ihr verstorbener Chef. Der Totenkult ist ein mächtiges Instrumentarium und gilt als unantastbar: „Bitte, nicht über Tote schimpfen.“ Der tote Haider ist noch gefährlicher als der lebende.

Nach einer Satire im ORF auf Haiders Beerdigung haben Sie Schwierigkeiten bekommen?

Ich produziere auch eine Late-Night-Show fürs österreichische Fernsehen mit Grissemann und Stermann. Nach dem Tod von Jörg Haider haben wir den Umgang der Medien mit dem Begräbnis ironisch bearbeitet. Das war ein Riesenskandal. Es gab irrsinnig viele Morddrohungen. Und komische Stellungnahmen aus der Kärntner Politik. Als Antwort darauf ist bei mir die Idee zu meinem Buch entstanden, um dem etwas entgegenzusetzen. Wir standen ziemlich allein da. Es gab keinerlei Solidarität, auch aus der Linken nicht. Mein Roman richtet sich gegen die wahnwitzige Heldenverehrung eines Rechtsradikalen.

Nennen Sie Haider im Fernsehen einen Rechtsradikalen?

Ich hab kein Problem damit, den Haider als Rechtsextremisten zu bezeichnen. Dafür würde ich mich auch verklagen lassen, da ich überzeugt davon bin, dass er einer ist. Jetzt wurde mit Steuergeldern ein Haidermuseum in einem Klagenfurter Nazistollen eröffnet, das ist doch alles bizarr. Ein Haidermuseum mit Geldern aus dem Kärntner Kulturfonds in einem früheren Nazibunker zum ersten Todestag. Das Wort „untragbar“ existiert in der österreichischen Sprache schon lange nicht mehr. Wir haben einen dritten Nationalratspräsidenten. Der ist in einer rechtsextremen Studentenverbindung und kokettiert offen mit dem historischen Nationalsozialismus. Dieser Martin Graf wird auch von den Sozialdemokraten mitgewählt, die tragen ihn. Es herrschen Zustände in Österreich, die man nur unerträglich nennen kann.

Ist das nicht eher ein Operettenrechtsextremismus?

Nein. Das geht komplett durch die ganze Gesellschaft und hat die letzten zwanzig Jahre entscheidend geprägt. Die Rechten sind heute salonfähig und sitzen in hohen Ämtern, von denen heraus sie ihre Politik betreiben, die sich auch gegen Verfassung und Gerichte wendet.