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Archiv-Artikel

Ausschlusskriterium erfüllt

WELT-AIDS-TAG Schwule und bisexuelle Männer dürfen kein Blut spenden – egal ob, wie und mit wem sie Sex hatten. Nun werden die Richtlinien überarbeitet

Böses Blut, gutes Blut

Die Regeln: Wer in Deutschland Blut spenden darf, regelt die Transfusionsrichtlinie der Bundesärztekammer. Weil der routinemäßige HIV-Test Infektionen nur dann erkennt, wenn sie mindestens drei Monate her sind, definiert die Richtlinie HIV-Risikogruppen, die grundsätzlich von der Blutspende ausgeschlossen sind: Homo- und bisexuelle Männer, intravenös Drogenabhängige, Prostituierte und Häftlinge. Ähnliche Regelungen gibt es in den meisten europäischen Ländern – nur in Spanien und Italien dürfen schwule Männer unter bestimmten Bedingungen ihr Blut spenden.

Die Kritik: Lesben- und Schwulenverbände sowie einzelne Politiker von Grünen, SPD und FDP sprachen sich in der Vergangenheit für eine differenziertere Regelung aus, die nach tatsächlichem Risikoverhalten ausschließt, nicht nach sexueller Orientierung. Ob die aktuelle Überarbeitung der Regeln durch das Paul-Ehrlich-Institut und die Bundesärztekammer eine Veränderung bringt, steht nicht fest. Dokumente und Nachrichten zum Thema sammelt der Verein Schwules Blut auf seiner Internetseite schwulesblut.de.

VON LUISE STROTHMANN

Lange bevor Johannes S. zum ersten Mal einen Mann küsste, hatte er eine Sammlung von Kondomen. Latexfreie, weil die keinen Schaden nehmen, wenn man noch Massageöl an den Händen hat, extra dicke, die auch bei Analsex nicht reißen. Jahre vor seiner ersten Verabredung wusste er mehr über Geschlechtskrankheiten als alle seine Freunde. Aids kennt jeder, Johannes S. kannte Chlamydien. Er hatte sich im Internet informiert. S. ist ein sehr genauer Mensch.

Der Warteraum der Blutspendestelle in der Berliner Charité. Neonröhren, graublaue Metalltische, ein Getränkeautomat. Johannes S. nimmt sich aus der Ablage einen Fragebogen, setzt sich und holt einen Kuli aus der Jackentasche. Er kennt den Fragebogen schon, trotzdem liest er jede Zeile langsam und genau, auch Frage Nummer 29. „Gehören Sie zu den besonders HIV-, Hepatitis-B- oder -C-infektionsgefährdeten Personen (homo- oder bisexuelle Männer, intravenös Drogenabhängige, Prostituierte, Häftlinge) oder hatten Sie in den letzten vier Monaten intimen Kontakt zu dieser Personengruppe?“

Als Johannes S. zum letzten Mal hier war, hat er gelogen. Dieses Mal will er ehrlich sein und sehen, was passiert. S. ist 27 und bisexuell, er hatte in seinem Leben bisher überhaupt erst einmal Oralsex, das ist Monate her. Aber er kennt die Regeln: Homosexuelle dürfen in Deutschland kein Blut spenden.

Es war in den letzten Jahren immer wieder eine Nachricht wert: „Schwule dürfen kein Blut spenden“ titelt Focus Online im August 2006. Die Lübecker Nachrichten geben im August 2009 sogar eine Meldung an die Nachrichtenagenturen: „Homosexuelle dürfen kein Blut spenden“.

Dabei hat sich an dieser Schlagzeile seit mehr als zehn Jahren nichts verändert. „Wir setzen nur um, was der Gesetzgeber vorschreibt“, sagt Abdulgabar Salama, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin an der Charité.

Der Gesetzgeber schreibt allerdings nur vor, dass Experten entscheiden müssen. Die Transfusionsrichtlinie, erarbeitet von der Bundesärztekammer und dem Paul-Ehrlich-Institut, listet nun unter „Kriterien für einen Dauerausschluss“ auf: „Personen, deren Sexualverhalten oder Lebensumstände ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten (HBV, HCV oder HIV) bergen“. Eine kleine 14 hinter dem Satz verweist auf eine Fußnote. Die folgt dreizehn Seiten später in Schriftgröße sieben: „z. B. homo- und bisexuelle Männer, Drogenabhängige, männliche und weibliche Prostituierte, Häftlinge“.

Lars-Haucke Martens will genauer gefragt werden. Nicht nur, ob er schwul ist, sondern, ob sein persönliches Risiko, sich in den letzten Monaten mit HIV angesteckt zu haben, tatsächlich hoch ist. Jede Blutspende in Deutschland wird auf HI-Viren untersucht. Allerdings kann eine Infektion erst sicher festgestellt werden, wenn sie knappe drei Monate zurückliegt. Und statistisch sind schwule Männer weit überdurchschnittlich von HIV betroffen.

„Ob man zu einer Risikogruppe gehört, hängt nicht von der sexuellen Orientierung ab, sondern davon, ob man tatsächlich ein risikoreiches Sexualverhalten hat“, sagt Lars-Haucke Martens. Davon, ob man häufig den Partner wechselt, mit welchen Praktiken man Sex hat, ob man Kondome benutzt. Wenn jeder genauer nach solchen Fakten befragt würde, könne man sich sparen, Schwule pauschal vom Blutspenden auszuschließen.

Für diese Veränderung kämpft Lars-Haucke Martens. Er ist Sprecher des Vereines Schwules Blut. Gegründet hat er ihn aus eigener Betroffenheit: Für einen Fernsehbeitrag über Blutkrebs ließ sich der Reporter vor der Kamera typisieren. Einige Zeit später bekam er einen Brief: Sein Profil passe auf einen Patienten, ob er Knochenmark spenden werde? Martens ist schwul, er lebt monogam in einer Eingetragenen Partnerschaft. Hätte er das angegeben, wäre die Spende nicht zustande gekommen. Er kämpfte mit sich, dann log er und spendete. Seitdem schreibt er Briefe an das Paul-Ehrlich-Institut.

Im Infoständer wirbt eine Broschüre für Safer Sex. Kondome kommen bei Heteros gerade aus der Mode

Viel hat Schwules Blut noch nicht erreicht. Auf Grünen-Parteitagen tauchen immer mal wieder Anträge zu dem Thema auf, einige junge SPDler und FDPler befassten sich damit. Aber bei den verantwortlichen Instituten rührte sich nichts. Bis jetzt.

Rainer Seitz, Leiter der Abteilung Transfusionsmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts, möchte in diesen Tagen nicht über das Thema Schwule und Blutspende reden. Man arbeite gerade wieder an den Richtlinien und wolle sich erst mit Bekanntgabe der Ergebnisse wieder dazu äußern, sagt eine Institutssprecherin. Seine alte Position hatte Seitz schon oft ausgeführt, unter anderem in einem offenen Brief. Es geht darin um den deutschen „Aidsskandal“. In den Achtzigern und frühen Neunzigern wurden Menschen durch Blutkonserven mit HIV infiziert. „Dies wird als eines der größten Desaster der modernen Medizin angesehen und hat bei allen Beteiligten einen tiefen Schock hinterlassen“, schreibt Seitz.

Die Richtlinien entstanden im Klima einer Entschlossenheit, lieber übervorsichtig zu sein, als an einer Stelle zu weich. Es ist auch die Geschichte einer gesellschaftlichen Angst.

In der Charité setzt Johannes S. seine Unterschrift unter den Fragebogen. Im Infoständer neben ihm wirbt eine Broschüre für Safer Sex. Kondome kommen bei Heteros gerade aus der Mode. Als er das Zimmer der Ärztin betritt, schlägt sie gerade seinen Fragebogen auf. „Ich habe eine Frage dazu“, sagt er. „Ich auch“, sagt sie und schaut auf Punkt 29, „aber Sie zuerst, wahrscheinlich geht es um denselben Punkt.“ „Ich bin homosexuell oder besser gesagt bisexuell.“ „Dann kann ich Sie nicht spenden lassen.“ Die Ärztin ist sachlich, nicht unfreundlich, sie erklärt ihm noch einmal, was er schon weiß. Auch die Risiken beim Analsex. Wieder zu Hause berichtet S. seiner Mitbewohnerin. Im Gegensatz zu ihm hat die regelmäßig Analsex ohne Kondom. Und da sie bei der Blutspende nicht danach gefragt wird, muss er ihr den Vortrag wohl halten.