: Die mysteriösen Zwerge des Weltfußballs
GHANA Afrikas derzeit leistungsstärkste Fußballnation hat ihre große Zeit eigentlich hinter sich. Ghanas Fußball spiegelt jedoch getreu die Geschichte und Emotionen des Landes. Vielleicht macht dies ihn jetzt erneut erfolgreich
AUS ACCRA AMOS SAFO
Fußball ist in Ghana ein kolonialer Import. Europäische Schiffsbesatzungen und Geschäftsleute, die im 19. Jahrhundert in den Häfen und Handelsforts der westafrikanischen „Goldküste“ lebten, spielten Fußball miteinander und auch mit neugierigen Einheimischen. Eine Reihe von Fußballklubs entstand, mit romantischen Namen: Accra Hearts of Oak, Cape Coast Venomous Vipers, Cape Coast Mysterious Dwards, Sekondi Hasaacas, Sekondi Eleven Wise.
Während der britischen Kolonialzeit blieb Fußball zunächst auf die Küstenregion beschränkt, weil die Mitte und der Norden des heutigen Ghana zunächst nicht Teil der britischen Kolonie „Goldküste“ waren. Erst ab 1935 wurden auch im mittleren Ghana, dem Reich der Ashanti, Fußballvereine wie die Kumasi Asante Kotoko und Kumasi Cornerstones gegründet. Und 1952 dekretierte die Kolonialregierung die Gründung des „Gold Coast Amateur Sports Council“, der alle Amateurverbände übersah, auch die im Fußball.
1957 wurde die Goldküste unter dem Namen Ghana als erste europäische Kolonie in Afrika südlich der Sahara unabhängig, und ein Jahr später trat die „Ghana Amateur Football Association“ dem Afrikanischen Fußballverband CAF bei. Ghana war 1963 Gastgeber des 5. Afrika-Cup, gewann den Titel und verteidigte ihn 1965 beim nächsten Turnier in Tunesien. So errang Ghanas Fußball damals hohe Wertschätzung quer durch Afrika.
Ghanas erster Präsident, Kwame Nkrumah, ein Fürsprecher der Einheit Afrikas, sah Fußball als einigende Waffe an. Fußball, sagte er, könne die „afrikanische Persönlichkeit“ entwickeln, dem Kampf gegen Südafrikas Apartheid dienen, die vielen Kulturen Afrikas zusammenführen und Ghana auf die Landkarte Afrikas und der Welt setzen.
Letzter Sieg vor 28 Jahren
Viermal gewann Ghana den Afrika-Cup: 1963, 1965, 1978 und 1982. Damit ist das Land das zweiterfolgreichste Team in der Geschichte des panafrikanischen Turniers, gleichauf mit Kamerun und hinter Ägypten. Ägypten wurde insgesamt sechsmal Afrikameister, darunter bei den drei letzten Turnieren 2006, 2008 und 2010 – dieses Jahr im Endspiel gegen Ghana. Dass Ghanas letzter Sieg 28 Jahre zurückliegt, zeigt, dass der ghanaische Fußball in den letzten Jahrzehnten im afrikanischen Vergleich blass geworden ist. Kamerun löste ihn als afrikanischer Hoffnungsträger ab, seitdem sind andere Mannschaften ebenfalls weltweit bekannt geworden.
Die afrikanische Champions League, traditionell vom Maghreb dominiert, war für Ghanas Vereine immer schwierig. Ghanas größter Fußballverein Kumasi Asante Kotoko hat sie zweimal gewonnen, zuletzt 1980. Der zweitgrößte, Accra Hearts of Oak, siegte im Jahr 2000. Diese beiden Teams dominieren Ghanas Fußballlandschaft. Wenn es ihnen gut geht, floriert auch Ghanas Nationalmannschaft; sind sie in schlechter Form, strauchelt auch das nationale Team.
Die bittere Rivalität zwischen Kumasi Asante Kotoko und Accra Hearts of Oak hat schon viele Todesopfer gefordert. Wenn die beiden gegeneinander spielen, kommt Ghana zum Stillstand. Der blutigste Einzelvorfall in der Geschichte des afrikanischen Fußballs ist das Spiel zwischen Hearts und Kotoko in Accra 2001, als Hearts 2:1 gewannen und bei nachfolgenden Unruhen 127 Menschen starben. Als vor wenigen Jahren Hearts in Kumasi gewann, gab es sechs Tote.
Alle diese Zwischenfälle wurden auf parteiische Schiedsrichter zurückgeführt. Kotoko-Fans glauben, dass Ghanas Schiedsrichterverband den Hearts zuneigt. Die Leistung der Schiedsrichter, wenn die beiden Teams aufeinandertreffen, trägt nicht dazu bei, diesen Eindruck zu zerstreuen.
Ga-Adangbe gegen Ashanti
Hearts of Oak aus Ghanas Hauptstadt Accra an der Küste werden von den dort lebenden Völkern der Ga-Adangbe unterstützt. Die Kotoko aus dem zentralghanaischen Kumasi, Sitz des Ashanti-Königreichs, verkörpert den legendären Widerstandsgeist der Ashanti, die sich als eines der mächtigsten Königreiche Westafrikas zu Beginn der Kolonialzeit den britischen Invasoren entgegenstellten. Kotoko beruft sich gerne auf diesen Ashanti-Kampfgeist. Als die Briten Ende des 19. Jahrhunderts von der „Goldküste“ ins Landesinnere vorstießen, wo die Ashanti herrschten, war der Ashanti-Staat selbst auf Expansionskurs und wollte die Küstenvölker erobern; diese verbündeten sich daher mit den Briten und halfen den Invasoren, die Ashanti zu besiegen und die Kolonialherrschaft zu errichten.
Diese historische Konfrontation prägt Ghanas Politik und Gesellschaft bis heute und äußert sich eben auch im sportlichen Wettbewerb. Sogar die beiden großen politischen Parteien des Landes ordnen sich dieser Spaltung unter: Die regierende NDC (Nationaler Demokratischer Kongress) gilt als Hearts-Unterstützer, die oppositionelle NPP (Neue Patriotische Partei) als Kotoko-treu. Welches Team floriert, hängt auch davon ab, welche Partei gerade regiert – Ghana ist eines der wenigen Länder, in denen es seit einiger Zeit regelmäßig friedliche demokratische Machtwechsel gibt.
Neue Erfolgsgeneration
Viele Analytiker führen die schlechte Qualität des ghanaischen Ligafußballs auf diese extreme Politisierung zurück. Doch zugleich gibt es Fußballakademien, die junge Talente schmieden – Dede Ayew, Asamoah Gyan, Samuel Inkoom, Dominic Adiya, Agyeman Badu, Michael Essien, Jonathan Mensah und andere. Sie werden für den europäischen Markt fit gemacht.
Welches Talent in Ghana schlummert, zeigt sich an den Leistungen der Jugendmannschaften. Ghana war zweimal U-17-Weltmeister, zweimal Zweiter, 2009 wurde es auch U-20-Weltmeister im Finale gegen Brasilien. All dies ist auf die Fußballakademien zurückzuführen.
Allmählich kehrt Ghanas Fußball auf die internationale Bühne zurück, und dies liegt nicht an Ghanas Fußballliga, sondern an den Ghanaern im Ausland. Chelsea, AC Milan und andere nehmen Ghana zwar Talente weg, aber sie machen aus ihnen zugleich Weltstars. Sie sind es, die Ghanas Fans begeistern, während ghanaische Ligaspiele kaum jemanden mehr bewegen. Diese Lokalschwäche muss langfristig auch jenen Sorgen bereiten, die die nationale Stärke Ghanas jetzt bejubeln.