: Das Altersgrauen
ANGST Gerontophobie ist die Panik vor dem Altwerden. Aber nicht jeder, der vor einem grauen Haar erschrickt, ist gleich Phobiker
Eines vorweg: Alle werden alt. Mit jeder Sekunde altern Körper und Geist. Darauf reagieren Menschen unterschiedlich. Wer unter Gerontophobie leidet, kann den Anblick eines grauen Haares nicht ertragen. Bei Gelenkschmerzen bekäme er Falten, die er mit Cremes bekämpfen würde, um sich nicht an das Alter zu erinnern. Alte Menschen könnte er nur noch schwer anschauen.
„Gerontophobie ist die übersteigerte Angst vor dem Älterwerden. Es gibt Leute, die deswegen nicht mehr arbeiten können. Sie sind dadurch enorm eingeschränkt“, sagt Therapeut Karsten Noack. Betroffene fliehen vor Situationen im Alltag, in denen sie an ihre Angst erinnert werden. Sie meiden etwa ältere Kollegen im Büro oder den Besuch im Seniorenheim. Das belastet.
„Das Altern meines Körpers macht mir Angst“, sagt eine 56-Jährige aus Berlin. Dabei hat sie dafür gar keinen Grund: sie sieht viel jünger aus, beschäftigt sich viel mit Ernährung, Sport und ihrem Körper. Trotzdem: „Je älter ich werde, desto mehr muss ich mich disziplinieren, darauf zu achten.“ Gerade ist ihr rechter Ellenbogen bandagiert, sie quält ein Tennisarm. Altern löst bei ihr die Angst aus, unattraktiv zu werden. „Ich finde, dass mich nicht mehr so viele Männer ansehen wie früher.“ Schuld daran seien auch die Boulevardzeitungen und die Werbung, die das Bild der Frau verzerrten.
Auch Bernard Tomac, 44, macht sich Gedanken über das Alter. Er befürchtet, später zu vereinsamen. „Ich stelle mir vor, im schlimmsten Fall alleine zu sterben.“ Um neue Leute kennenzulernen und seine Gedanken und Ängste zu ordnen, besucht er eine Selbsthilfegruppe in Neukölln.
Doch leiden die beiden an einer Phobie?
Mit ihrer Angst vor Einsamkeit und Altwerden sind sie sicher nicht allein. Alzheimer, Arthrose, Inkontinenz – je älter man wird, desto wahrscheinlicher erkrankt man. Sich deshalb zu sorgen, ist normal.
Jedoch: „Ängste tauchen auf und verschwinden bei gesunden Menschen wieder“, sagt Noack. Gerontophobie ist eine Erkrankung, die meist nichts mit den üblichen Sorgen vor dem Alter zu tun hat. Phobisch zu sein, bedeutet, sich auf das Problem zu konzentrieren und Lösungen zu vergessen. „Ich versuche, die positiven Gedanken meiner Patienten zu stärken“, sagt der Therapeut. Er behandelt seine Patienten dafür auch mit Hypnose.
Bernard Tomac hat einen Weg gefunden, sich von Ängsten zu befreien. Indem er meditiert und Atemübungen macht, kann er entspannen und dem Alter gelassener entgegenblicken. „Im Sport wird man zwar langsamer, aber dafür kann man lernen, tiefer zu denken.“
DOMINIK OTTE, NORMAN PRANGE