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Archiv-Artikel

Sister Act

TURNEN Die äußerlich so ähnlichen, charakterlich aber grundverschiedenen britischen Schwestern Rebecca und Elissa Downie sorgen bei der EM in Montpellier für Furore

„Das sah toll aus, was meine Schwester da machte. Das wollte ich auch“

ELISSA DOWNIE

AUS MONTPELLIER SANDRA SCHMIDT

Am Samstag war klar: Es gibt zwei von ihnen. Vor dem Barrenfinale der Europameisterschaft der Turnerinnen in Montpellier standen sie nebeneinander da, Rebecca und Elissa Downie aus Großbritannien. Vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte internationaler Titelkämpfe traten Schwestern in einem Finale gegeneinander an. Die Titelverteidigerin Rebecca Downie, die Ältere gewann Silber, Schwester Elissa wurde Vierte. Becky zeigte eine Übung mit drei schwierigen Stalder-Tkatschew-Flugteilen und zwar „sehr zufrieden“ mit sich und ihrer Vorstellung. „Aber es tut mir ein wenig leid für Ellie, dass sie so knapp eine Medaille verpasst hat“, sagte sie im gleichen Satz.

In der Qualifikation hatte sich der ein oder andere Zuschauer noch gefragt, wie oft denn diese britische Turnerin namens Downie eigentlich an die Geräte gehen darf. Im ersten Durchgang hatte eine Downie geturnt, einen fehlerfreien Vierkampf. Im dritten Durchgang stand dann wieder Downie auf der Anzeigetafel. Die Turnerin hatte zwar einen anderen Anzug an, aber die Bewegungen schienen die gleichen wie die der Starterin vom Vormittag. Aus ein wenig Entfernung sehen sich die beiden auch im Gesicht sehr ähnlich, vor allem aber ist es die Körpersprache, bis hin zu kleinen Posen auf dem Schwebebalken. Sie gleichen sich auf irritierende Weise. Am Ende des Tages verbuchten die Downies fünf Finalplätze.

„Meine Eltern konnten dieses Jahr nicht mitfahren, von daher ist es gut, dass meine Schwester da ist, sie ist ja auch Familie“, sagt die 1999 geborene Ellie, die zum ersten Mal in der Seniorenkonkurrenz startete. Die sieben Jahre ältere Schwester, die aufgrund einer Fußverletzung nicht im Mehrkampf antrat, schaute zu, als Ellie am Freitagnachmittag begriff, dass sie die erste Mehrkampfmedaille in der Geschichte des britischen Frauenturnens gewonnen hat. „Ich bin sofort in Tränen ausgebrochen, und da stand Becky zum Glück da“, sagte Elissa später. Becky, die bereits 2008 in Peking im britischen Olympiateam stand, hatte ihr geraten: „Bleib ganz ruhig, mach es wie im Training, und dann wird das schon!“ So kam es. Außer dem Ratschlag hatte sie ihr allerdings auch den Turnanzug geliehen. „Sie hat ein paar Mal gesagt, dass sie ihn so wunderschön findet, dann habe ich irgendwann gesagt: Okay, du kannst ihn haben!“ Es war eigentlich eine Sonderanfertigung, die Becky eigens für ihr Barrenfinale bestellt hatte. Sie habe ihrer Schwester scherzend auch gesagt: „Der ist so schön, der gehört aufs Siegerpodest!“

Das Zusammenspiel der Downie-Sisters entwickelt sich seit Jahren in der Notts Gymnastics Academy in Nottingham, wo beide bei Claire Starkey trainieren. Als Ellie ganz klein war, höchstens fünf, sei sie manchmal zum Spielen in die Halle gekommen, erzählt Starkey, Becky sei einmal schrecklich aufgelöst gewesen, weil irgendetwas nicht gelingen wollte. „Ich versuchte vergeblich, sie zu beruhigen, und dann sagte dieses kleine Mädchen: Hör bitte auf zu weinen, Becky!“ Die beiden würden sich auf wunderbare Art und Weise gegenseitig unterstützen.

Auf die große Ähnlichkeit angesprochen kann Claire Starkey nur lachen. Das sehe nur so aus, aber die beiden seien „komplett unterschiedliche Charaktere“. Ellie sei eher ein soziales Wesen, sagt Becky. Ein Zimmer teilen sie sich nicht in Montpellier. Aber natürlich sehe sie sich manchmal selbst in ihrer kleinen Schwester. „Ich versuche, ihr jeden erdenklichen Tipp zu geben“. Sie selbst habe über die vielen Jahre so viele Fehler gemacht, die sollen ihrer Schwester erspart bleiben. 2012 wollte Rebecca ihre Karriere schon beenden, für die Olympischen Spiele im eigenen Land war sie nur als Ersatzturnerin nominiert. „Es war für die ganze Familie schwierig“, erinnert sie sich. Damals half die kleine Schwester.

Die Downies stammen nicht aus einer Turnerfamilie. Becky lernte den Sport über eine Schulfreundin kennen, später saß die kleine Ellie meist im Auto, wenn Mutter Downie Becky zum Training brachte. „Das sah toll aus, was meine Schwester da machte. Das wollte ich auch“, erzählt sie. Zu Hause spiele das Thema keine Rolle versichern beide, dazu habe man ja genug Zeit in der Halle.

In einem hochklassigen Sprungfinale belegte Elissa Downie am Samstag den fünften Platz, die Konkurrenz sprang deutlich schwieriger. Am Sonntag stand für Rebecca noch das Balkenfinale an (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). In welchem Anzug sie das bestreitet, das wollte sie im Vorfeld nicht verraten. Sicher ist, dass nach dieser EM jeder die britischen Schwestern kennt.