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Archiv-Artikel

Tendenziell mit abgelegtem Oberhemd

FOTO Bilder von Badenachmittagen an der Havel und vom Pool in Hollywood – gelegentlich kommt man sich beim Betrachten wie ein Voyeur vor. Das Schwule Museum zeigt Privatbilder des Regisseurs F. W. Murnau

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Einen Satz wie diesen kann man sich auf der Zunge zergehen lassen wie ein Stück Konfekt: „Die Homosexualität Murnaus war wie ein Privatzimmer, zu dem sein Bruder Robert Plumpe den Zugang verwehrte.“ So steht es auf einer Texttafel neben einem Porträt des deutschen Stummfilmregisseurs, der durch Filme wie „Nosferatu“ oder „Faust“ international so für Aufsehen sorgte, dass er Ende der 20er Jahre nach Hollywood geholt wurde. Das Schwule Museum zeigt Bilder aus dem privaten Fotoalbum Murnaus (1888–1931), die er zum größten Teil selbst aufgenommen hat.

Wir sehen Bilder von Dreharbeiten, von Badenachmittagen an der Havel und später am Pool seiner Villa in Hollywood, von Reisen auf Murnaus Jacht. Viele sehen aus wie Standbilder aus Filmen, die Murnau nie gedreht hat. Besonders eine Bilderserie, die Matrosen zeigt, hat genau die luminöse En-plein-air-Qualität, die Murnaus letzten Film „Tabu“ auszeichnet, bei dem Murnau die expressionistischen Schattenspiele seiner deutschen Filme endgültig hinter sich gelassen hatte.

Auf „Tabu“ liegt auch der Schwerpunkt der Ausstellung. Der Film, in Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Robert Flahery ausschließlich an Orginaldrehorten in der Südsee gedreht, wird in der Ausstellung als camper Kultfilm dargestellt: In den „kargen Zeiten der Abstinenz schwuler Themen und Figuren“ sei dieser Film, der von der Liebe von einem Perlenfischer zu einem Mädchen handelt, „die rare Ausnahme“ und eine „Abfolge von homoerotischen Wunschbildern in eine heterosexuelle Liebesgeschichte gebettet, die tragisch endet“.

Murnaus „Jungs“

Murnaus Homosexualität bestimmt die ganze Ausstellung. Zwar kriegt in einem Wandtext die deutsche Filmkritikerin Lotte Eisner eins übergebraten, weil sie Murnaus „natürliche Neigung“ als prägend für seine Filmästhetik erklärt. Aber gegenüber hängt ein Zitat von Frieda Grafe, die sinngemäß dasselbe sagt: „Seine Libido, seine Wünsche und sein Verlangen, man sieht sie (in seinen Filmen) zirkulieren.“

Die Bildauswahl konzentriert sich stark auf die Aufnahmen, die Murnaus „Jungs“ (wie es auf der Website zu der Ausstellung heißt) zeigen: gut gewachsene junge Männer mit markanten Zügen, die in den Bildunterschriften oft als „Unbekannter am Swimming Pool“ firmieren. Gelegentlich kommt man sich beim Betrachten der Bilder wie ein Voyeur vor.

Etwas problematisch wird das alles bei den Bildern von den jungen Männern, die Murnau für „Tabu“ rekrutiert hatte. In dem Film inszenierte er die Südsee als ein bukolisches Idyll, das sie zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr war, und steckte seine Darsteller in Lendenschurze und Bambusröckchen.

Die Bilder der halbnackten Komparsen zeigt, wie diese mit der Entblößung durch den westlichen Regisseur umgingen. Einige von ihnen flirten – mit Blüte hinter dem Ohr – ungeniert mit der Kamera. Andere stehen steif und offensichtlich peinlich berührt herum. Murnau, der über seine Sexualität schweigen musste, zwang denjenigen, die in der postkolonialen Theorie gern als die „Subalternen“ bezeichnet werden, seinen Blick auf. „Trotz der westlichen Kleider ist ihre ursprüngliche Grazie vage erkennbar“, heißt es auf einer Texttafel zu einem Bild von zwei anderen Männern, die für Murnaus Fotoapparat ihr Oberhemd abgelegt hatten. Hm!

Manche Bilder in der Ausstellung hat man schon anderswo gesehen. Doch der Großteil der Fotografien stammt aus einer Sammlung von Stereobildern, die der Forscher Heinrich Gräfenstein 1993 in einem Karton mit Materialien von den Dreharbeiten zu „Tabu“ fand. Sie werden jetzt erstmals – zum Teil riesig vergrößert – in einer Ausstellung gezeigt. Die Orginalbilder waren in schlechtem Zustand. Aber Gräfenstein konnte in jahrelanger Arbeit mit dem Fotorestaurator Klaus Pollmeier wenn schon nicht die Orginal-Stereoskopbilder, aber wenigstens die meisten Motive retten. Ein zeitgleich bei Schirmer/Mosel erschienener Bildband enthält noch mehr von Murnaus privaten Fotos.

Forcierte Tiefe, mit Tricks

Von den Orginal-Stereobildern hätte man gern mehr gesehen, nachdem man einen Blick durch ein Stereoskop geworfen hat, das das einzige 3-D-Bild der Ausstellung enthält: Es zeigt zwei Zeitungsjungen auf einem Bürgersteig in Los Angeles, hinter denen sich ein weites Stadtpanorama auftut.

Das Stereoskopbild hat genau die forcierte Tiefe, die Murnau bei seinen Filmen mit allerhand Filmtricks produzierte: In „Der Letzte Mann“ fahren auf dem Platz vor dem Hotel, in dem der Protagonist als Portier arbeitet, im Hintergrund Miniaturautos, um den Raum plastischer wirken zu lassen. Und für sein Meisterwerk „Sunrise. A Song of Two Humans“ ließ er ein Café mit zur Kopfwand ansteigenden Boden bauen, in dessen Hintergrund Zwerge herumliefen, um die Raumtiefe dramatischer erscheinen zu lassen.

■ „Friedrich Wilhelm Murnau – Die privaten Fotografien“: Schwules Museum, Lützowstr. 73, Mi–Mo 14–18 Uhr, bis zum 10. März