: Des Vaters Geist gibt einfach keine Ruhe
DRAMA DER GESCHICHTE Mit „1989 (Exit Ghost)“ hat im Theaterdiscounter das kleine Festival Mauerfälle begonnen. Es läuft bis 8. November
Der 25. Jahrestag des Falls der Mauer hat viele Bühnen zur Spurensuche in der Geschichte angeregt. Der Theaterdiscounter, der in der Klosterstraße im ehemaligen Fernmeldeamt der DDR arbeitet, hat für eine Woche ein Festival programmiert, das am kommenden Samstag mit einem Bankett endet, an dem Soljanka zu Liebesgedichten gereicht wird, eines für jedes der vergangenen 25 Jahre, geschrieben von Autoren aus der DDR.
Moment der Utopie
Den Anfang des Festivals machte ein Stück Ost-West-Diskurstheater, das zu Heiner Müller und den Proben von Hamlet/Hamletmaschine am Deutschen Theater im Herbst 1989 zurückkehrte. Wie sich dort die Schauspieler erst ambitioniert in eine Arbeit warfen, von der sie sich subversives Potenzial versprachen; wie sie sich dann von den Ereignissen auf der Straße überholt sahen und wie sie sich in einem Moment der Utopie an die Spitze der Demonstrationszüge setzten, das ist die eine Geschichte, die von der Gruppe „theatrale subversion“ aus Dresden erzählt wird.
Dazwischen beschreiben sie historische Momentaufnahmen von legendären Demonstrationen aus den letzten Tagen der DDR, und was diese Bilder heute in ihnen, die damals jung waren, auslösen. Sie erzählen von Rührung über die Momente, in der die Bewegung auf der Straße tatsächlich zu einer Bewegung der Geschichte wurde, und auch von der schnellen Ernüchterung danach, als Job und Geld bald alles schien, was Identität und Beziehungen definiert.
Natürlich zitieren sie Hamlet und Heiner Müller. Hamlet, der aus der Geschichte aussteigen will, wird zu einer Figur wie eine blanke Seite, der Möglichkeit eines Neuanfangs. Dagegen steht der Auftritt des Geistes, Hamlets Vater, der ihm immer wieder eine Aufgabe anträgt, die aus der Vergangenheit erwachsen ist. Diese erzählerischen Stränge verschränken sich in „1989 (Exit Ghost)“ in oft skizzenhafter Spielweise. Warum es keine Alternative beim schnellen Übergang zum Kapitalismus gab, ist wiederholt die Frage. Und auch: Ob nicht die DDR ein Trojaner im System des Kapitalismus sei, auslösendes Element seiner Krisen?
Angenehm unpathetisch und ohne große Gesten haben die Regisseurin Romy Weyrauch und die Schauspieler von „theatrale subversion“ ihr Stück vorgetragen. Nie drängt sich eine Rolle vor den Eindruck, dass dies ihre persönliche Auseinandersetzung mit der Geschichte ist. Eine einladende Übung, Gegenwart zu verstehen. KATRIN BETTINA MÜLLER
Programm: www.theaterdiscounter.de
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