Konfrontation mit einer grünen SA

GROTESKE „Schnee“, ein Stück von Hakan Savi Mican am Gorki-Theater über Islamisierung in der Provinz

Man wird hineingezerrt in eine Auseinandersetzung zwischen wütenden Muslimen und deren christlich-bürokratischen Gegnern

Am Anfang lässt der schwere schwarze Stein noch einen Spalt, unter dem man leicht gebückt durchkommt. Stimmen wispern verführerisch die Einleitungsformel der Gebete im Islam und locken zugleich den in Frankfurt am Main gestrandeten Exdichter Ka zurück in sein Heimatdorf Karsberg. Am Ende liegt der schwarze Stein auf dem Bühnenboden. Seine Seitenfläche ist dunkel glänzende Mauer. Und Ka, dem nach fünf Jahren poetischer Leere endlich wieder ein Gedicht gelang, spricht dem örtlichen Imam mit dem prosaischen Nachnamen Schlüter das islamische Glaubensbekenntnis nach.

In den etwa eineinhalb Stunden dazwischen wird man mit Ka hineingezerrt in eine Auseinandersetzung zwischen wütenden Muslimen und deren Gegnern, die sich auf eine krude Mischung aus christlicher Kultur, Laizismus und bürokratischen Regeln berufen. Tote gibt es auch.

Mican überträgt die Konfrontation zwischen Isis-begeisterten Konvertiten und selbst ernannten Verteidigern des Abendlandes auf einen Kommunalwahlkampf. Darin wehrt sich die etablierte Ordnung gegen die neue Kraft „Grün“, eine eher an das Braun der SA erinnernde Islamistentruppe mit letztlich ähnlich fiesen Methoden. Leider kann sich Mican nicht entscheiden, ob die Figuren eher schräges Comic-Personal oder Individuen mit inneren Kämpfen sein sollen. Ergebnis ist ein fader Kompromiss. Am Comic-Pol der Verfassungsschutzkobold Z. Eisenarm (Tamer Arslan), der sich militärisch gestählt unter dem sinkenden Stein hindurchrollt und dafür den größten Szenenapplaus abräumt. Am Schauspiel-Pol Lea Dräger, die als Exfrau des deutschnationalen Bürgermeisters, Exgeliebte des muslimischen Herausforderers und Liebessehnsuchtsobjekt des Dichters einen großen emotionalen Ausbruch hinlegt, als sie auch im Dichter nur einen von Egoismen geleiteten Wurm erkennt. Dazwischen die Karikaturen eines besorgten Dorfvorstehers (Godehard Giese), eines Sektenführers mit Unternehmergeist (Dejan Buin) und eben des zaudernden Intellektuellen (Mehmet Yilmaz). Nora Abdel-Maksoud, darstellerisch noch die Variantenreichste, zeichnet als Grün-Aktivistin Samt für den diskursiv stärksten Teil dieses Grotesk-Komödienabends verantwortlich.

Während sich die Männer nur darum balgen, ob die Schwimmhalle Moschee werden soll oder nicht, verweist sie auf die Armut und die Hoffnungslosigkeit, die viele den Religionen und Ersatzreligionen zutreibt, wenn dort wenigstens ein paar Kümmerer agieren. Sie lässt die beiden Hahnenkämpfer Trockenschwimmen auf dem Beckenboden üben. Hintergrund: Das Geld für das Wasser fehlt schon lange. Der schulische Schwimmunterricht erfolgt als Trockenübung. Dass junge Musliminnen schlechte Noten erhalten, weil sie beim Trockenschwimmen das Kopftuch nicht abnehmen, entpuppt sich als besonders kleinliche Demütigung.

Als Mican vor gut vier Jahren „Schnee“ nach der Vorlage Orhan Pamuks erstmals im Ballhaus Naunynstraße herausbrachte, war das ein bemerkenswert hellsichtiger Versuch. Inzwischen ist aber mehr passiert, auch die Debatte hat an Differenziertheit zugelegt. Mican verschwendet nicht einmal die Spur eines Gedankens daran, dass immer, wenn die Linke versagt, wütende Unterprivilegierte sich fundamentalistischen Bewegungen anschließen. Für Islamismus-Ursachenforschung ist man momentan besser bei Slavoj Zizeks „Blasphemischen Gedanken“ oder Paolo Flores d’Arcais bemerkenswertem Essay in der aktuellen Lettre aufgehoben. Mican hingegen lässt nur die Klischees tanzen und schwankt zwischen Revue und Gesinnungsstück. Sein Verdienst: Er holt das Thema zurück ins Stadttheater.

TOM MUSTROPH

■ „Schnee“, wieder am 16. und am 20. Mai, jeweils 19.30 Uhr, im Gorki-Theater