: Die durch die Stadt springen
Parkour ist eine Mischung aus Sport und Kunst, kostet nichts und hat mit Vereinsmeierei nichts zu tun. Auch in Bremen steigt die Zahl seiner Anhänger, die sich „Traceure“ nennen. Ihre gemeinsamen Stadtspaziergänge sind schweißtreibend, da sie über alles springen, was sich ihnen in den Weg stellt
von Robert Best
Gute zehn Meter nimmt Berit Anlauf, setzt im Sprung die Hände auf die Mauer und zieht die Beine in der Hocke nach. „Saut de chat“ heißt die Übung – Katzensprung. Bei Berit klappt es noch nicht auf Anhieb. Doch ihre Trainingskollegen ermuntern sie zum Weitermachen. Immer wieder setzt Berit über. Auch die anderen springen, manche trainieren den „Spin“, drehen sich um 360 Grad auf zwei Händen.
Parkour ist der Name dessen, was sie da treiben, ein aus Frankreich importierter Hybrid aus Sport und Kunst. Hier im Norden Deutschlands eine relativ neue Erscheinung und weder an Vereine noch an Geldgeber gebunden. Als gänzlich unabhängig von jeglicher Institutionalisierung verstehen sich zum Beispiel die Jungs von „Skyline“, einer von zwei Bremer Parkour-Gruppen. Sie treffen sich, gerne bei Einbruch der Dunkelheit, an weiträumigen Gebäudekomplexen wie dem Uni-Campus.
Tiefhängende Mützen und Hosen sowie eine gewisse Wortkargheit in der Runde lassen den Laien auf eine Verwandtschaft zu Kiffercliquen schließen. Doch diesen Vergleich weist Eugen, der Gründer der Gruppe, weit von sich. Parkour habe mit Drogen nichts zu tun, sagt der Berufsschüler. Der eigene Körper sei der Kick zu immer neuen Herausforderungen, sagt ein anderer. Parkour erfordert schließlich die Fähigkeit, jegliches Hindernis laufend, kletternd oder springend überwinden zu können.
Was durchaus auch seinen praktischen Nutzen hat, denn zuweilen werden die Skyliner von Hausmeistern oder Polizisten zur Rede gestellt. Nach Hallen für ihr Training haben sie zwar bei Sportclubs schon angefragt, wurden aber bislang mit dem Verweis auf die Preise oder auf ihren Mangel an „einem richtigen Trainer“ abgewiesen. Da sie aber auf Vereinsmeierei und die Benennung eines Trainers ohnehin wenig Lust haben, nehmen sie auch in Kauf, bei Minus-Temperaturen an der steinernen Uni-Fassade zu trainieren.
Schon weil sich beim Parkour kaum jemand zum Boss aufzuschwingen scheint, bleiben Geld und sozialer Status als Distinktionsmerkmale außen vor. Das sagen jedenfalls die Traceure selbst, wie sich die Parkourläufer nennen. Sie sind im Alltag Schüler, Azubis, Angestellte. In ihrer Freizeit rennen sie Wände hoch, balancieren auf Geländern und nehmen Treppen mit einem Sprung statt sie mühsam hochzugehen. Seltsam normal und konzentriert wirken Georg, Eugen und die anderen dabei. Als erledigten sie ihre Hausaufgaben.
Auch Hendrik – schlank, groß, Brille, rotes Haar – sieht auf den ersten Blick nicht aus wie ein verrückter Extremsportler. Der 28-Jährige betreibt Parkour seit anderthalb Jahren und ist so begeistert, dass er die zweite Bremer Gruppe gegründet hat. Schlichter Name: „Parkour Bremen“, mit 65 Mitgliedern mittlerweile eine der größten Gruppen Norddeutschlands.
Ihr körperliches Wohlergehen schützen die Traceure bei „Parkour Bremen“ allenfalls durch Handschuhe, den Rest müssen Dehnübungen und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten besorgen. Vertrauen spielt die größte Rolle: Der Traceur will sich an seine Grenzen herantasten, um sie Stück für Stück zu überwinden. Das Kennenlernen der eigenen Kraft, des Geschicks, des Vertrauens in den Körper klappt besser in Gemeinschaft als allein, stellen viele fest. Und das sind durchaus nicht nur Männer; Hendriks Traceure sind zu einem guten Drittel weiblich.
Ein weiterer Grund für die Sogkraft von Parkour: Seine Ausübung ist komplett kostenlos. Beschleunigt wird die Parkour-Popularität zudem durch Internet-Portale, auf denen Traceure ihre Tricks in Film und Foto ausstellen. Solcherlei „social networking“ scheint die einzige Voraussetzung zur Teilnahme. So kommen immer mehr Frischlinge zu Hendriks Trainingsstunden an der wesernahen Promenade Schlachte. Einstiegsübung: der „saut de chat“. Bis zu fünf Mal die Woche treffen sie sich, nutzen Mauern und Zäune, Fassaden und Baugerüste als kreative Spielplätze. Es entwickelt sich, so Hendrik, „eine neue Umgebungswahrnehmung. Man sieht überall Hindernisse, die man überwinden könnte“.
„Über eine Mauer springen“, sagt Berit und hüpft von einem Fuß auf den anderen, „das ist auch die Überwindung einer inneren Hürde“. Berit ist seit ein paar Monaten dabei. Sie studiert Philosophie und Germanistik an der Uni Bremen und findet im Parkour den perfekten Ausgleich zu Kant und Goethe. Anders als viele Sportler seien die Traceure keine geschlossene Gesellschaft, sagt sie.
Doch eine Philosophie findet sie auch hier, abseits der Seminare: Das Risiko, verletzt zu werden, lasse sich prima auf emotionale wie auf berufliche Bereiche anwenden. Sich einen neuen Move vorzustellen und ihn dann in die Tat umzusetzen, seien zwei verschiedene Dinge. Beim Parkour müsse man beide Schritte tun – hintereinander und bewusst. „Und das“, sagt sie, „ist etwas Archaisches. Das spürt man direkt“.