: Sachbezogen in die heiße Phase
Niedersachsens Sozialdemokraten läuten mit Attacken auf die CDU den Endspurt zur Landtagswahl in drei Wochen ein. SPD-Parteichef Kurt Beck sieht im amtierenden Ministerpräsidenten Christian Wulff das „personifizierte 0 : 0“
Laut einer Emnid-Umfrage kann die schwarz-gelbe Koalition in Niedersachsen nach der Wahl am 27. Januar weiter regieren. Demnach verliert die CDU von Regierungschef Christian Wulff gut drei Prozentpunkte und kommt auf 45 Prozent. Gemeinsam mit der FDP erreicht sie aber eine Mehrheit von 53 Prozent. Die SPD unter Wolfgang Jüttner verliert leicht auf 32 Prozent, die Grünen legen auf neun Prozent zu. Die Linkspartei käme mit vier Prozent nicht in den niedersächsischen Landtag. TAZ
AUS BRAUNSCHWEIG KAI SCHÖNEBERG
Zu Roland Koch hat der SPD-Vorsitzende viele Schimpfwörter im Repertoire: Hessens Regierungschef sei ein „Haudrauf“, und „Scharlatan“, sagt Kurt Beck, sei noch „eine viel zu freundliche Bezeichnung“ für Koch, der derzeit mit der Debatte um Jugendstrafen Schlagzeilen macht. Zu Christian Wulff fällt dem Pfälzer, der an diesem Sonntag im Festzelt des Regionalligisten Eintracht Braunschweig die „heiße“ Phase der SPD im niedersächsischen Wahlkampf einläuten soll, nicht ganz so viel ein. Der Ministerpräsident sei „so’n braver Hund“, nicht zu packen, tönt Beck. Ob beim Jugendstrafrecht, beim Mindestlohn oder in der Schulpolitik: „Bei Wulff weiß man nie: Vielleicht sagt er morgen, er sei doch dafür.“
Dann prägt der bekennende Fan des FC Kaiserlautern doch noch den Satz des Tages: „Mit einem dauernden 0 : 0 steigt man zwar nicht schnell ab, aber man rutscht langsam unten weg“, so Beck. Und Christian Wulff, findet er, „ist das personifizierte 0 : 0“.
Es gibt Bockwurst, Kartoffelsuppe, Blechkuchen, Glückskekse und Ein-Cent-Stücke mit dem SPD-Slogan „Gerechtigkeit kommt wieder“. Bremens Innensenator Willi Lemke wird von den Braunschweiger Genossen wegen seiner Vergangenheit als Manager von Werder an-, aber nicht ausgebuht, SPD-Generalsekretär Hubertus Heil wünscht unter bravem Beifall, dass von der Veranstaltung „ein Signal des Aufbruchs“ ausgehen möge. Und Bundesarbeitsminister Olaf Scholz sagt, die „Bugwelle des Schiffes Jüttner ist schon da“.
Doch die SPD und ihr Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner liegen in jüngsten Umfragen mindestens zehn Prozent hinter der CDU (siehe Kasten). So kurz vor den Wahlen erscheint das vielen in der Partei wie ein politisches Todesurteil für die niedersächsische Sozialdemokratie. „Nicht so optimal“ findet die Zahlen so auch Agalino Pesce aus Wolfsburg. Der VW-Ruheständler ist heute als „SPD-Symphatisant“ nach Braunschweig gekommen. Noch sei die Wahl ja nicht gelaufen, sagt er. Und zitiert Martin Luther: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“
Gedämpfte Zuversicht auch unter den SPD-Anhängern im Festzelt: 500 Genossen haben Spione von der CDU gezählt, auf 1.200 kommt die SPD. Viel mehr als erhofft, wird Parteichef Garrelt Duin nach der Veranstaltung sagen. Und davon sprechen, jetzt jene 700.000 SPD-Wähler zu mobilisieren, die bei der Wahl vor fünf Jahren zu Hause geblieben seien. Denn: „Um die geht’s.“
Der Kandidat schreitet in Begleitung einer Dixie-Kapelle, die „Go West“ von den Village People scheppert, in die Arena. „Wir spielen nicht auf Platz, wir spielen auf Sieg“, sagt er unverdrossen, die Genossen schwenken Schilder mit seinem Namen drauf. Johlen, minutenlanger Beifall, nachdem er fast eine Stunde lang mit Routine, aber einmal mehr wenig Verve das eigene Programm verkündet hat: gegen die „Eiseskälte“ unter Schwarz-Gelb, gegen die „rechtspopulistischen Reden“ des CDU-Innenministers Uwe Schünemann, gegen Kinderarmut, für das Ende der Kita-Gebühren, den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, kostenfreie Schulbücher und gegen Studiengebühren. Nur „weil das Bafög eingeführt wurde, habe ich eine Hochschule von innen gesehen“, erzählt der studierte Soziologe. Seinem Kontrahenten Wulff spricht Jüttner „politische Geradlinigkeit“ ab, weil der sich vor kurzem doch für neue Gesamtschulen erwärmen konnte, deren Gründung im Land zuvor verboten war.
Den größten Beifall erntet Jüttner beim Thema Mindestlohn, das heute alle Redner spielen. „Ich hab bei meinem Vater gelernt: Leistung muss sich lohnen“, sagt Jüttner. Es sei ein „Skandal“, wenn in der Fleischindustrie oder bei den Torfstechern im Land nur „ein bis drei Euro“ gezahlt würden.
Als „sachlich“, gar „diplomatisch“ loben viele Genossen nachher die Rede. „Lieber Wolfgang Jüttner“, sagt auch Kurt Beck. „Ich kann dich nur ermutigen, Deinen sachbezogenen Weg fortzusetzen.“