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Archiv-Artikel

Probier dich aus!

Unterwegs

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat wurde 1889 von Mirza Ghulam Ahmad in Indien als Reformbewegung im Islam gegründet. Ihr ursprünglicher Hauptsitz ist in Quadian in der indischen Region Punjab. Nach der Teilung des indischen Subkontinents mussten die meisten Ahmadi-Muslime 1947 Qadian verlassen.

1948 gründeten Ahmadis in Pakistan die Stadt Rabwah. Schwer verfolgt von Pakistans sunnitischem Extremismus, verlegte die Bewegung ihren religiösen Hauptsitz 1984 ins Exil nach London. 1957 (Hamburg) und 1959 (Frankfurt/Main) gründete sie erste Moscheen in Westdeutschland.

Die Ahmadiyya-Gemeinde gilt als unorthodoxe und vergleichsweise tolerante Strömung im Islam. Sie lehnt zum Beispiel die Unterdrückung der Frau oder eine expansive Auslegung des Dschihad ab („Die Auswanderung ist dem Kampf vorzuziehen“, Sure 8:72, 22:58). Zu ihren dreißig- bis vierzigtausend Mitgliedern in Deutschland zählen auch einige Konvertiten wie Hadayatullah Hübsch.

Beatniks sind Angehörige einer historischen Subkultur, die sich nur unterwegs wohl fühlen. Sie sind frei nach dem wohl bekanntesten Schriftsteller der Beat-Generation, Jack Kerouac, stets „On the Road“ und haben kein Bedürfnis nach Heimat – denn ihr Ziel ist der Weg. Der Begriff Beat-Generation etablierte sich in den späten Fünfzigern in den USA. In Deutschland etablierten sich die Beatniks im Lauf der Sechziger – unter ihnen Paul-Gerhard Hübsch und zum Beispiel Jürgen Ploog.

Astrid Proll, Jahrgang 1947, gehörte zum Gründungsumfeld der linksextremistischen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF). Sie war in den Jahren von 1978 bis 1982 inhaftiert. Seitdem arbeitet sie als Fotografin und Autorin. Unter anderem war sie lange als Bildredakteurin für die Magazine Tempo, Der Spiegel, The Independent und Time tätig. FAN, MRE

Er war ein radikaler Achtundsechziger, auch literarisch Avantgarde: Paul-Gerhard Hübsch. War bei der Tortenschlacht im Café Laumer dabei, bei der Kommune 1 und sehr oft auf Drogen. Doch dann konvertiert er zum Islam, nennt sich seitdem Hadayatullah und lebt als Imam in Frankfurt am Main

VON ANDREAS FANIZADEH

Die S-Bahn rattert von Frankfurts Innenstadt nach Hoechst. Auf die grüne Sitzbank ist mit schwarzer Farbe „SA“ geschmiert, in die Fenster filigran „UÇK“ und „PKK“ eingeritzt. Industrie- und Gleisanlagen wechseln sich mit Arbeitersiedlungen, Reihenhäuschen und Schrebergärten ab. Bevor Hoechst nach Frankfurt am Main wuchs, wuchsen einige ältere hessische Dörfer nach Hoechst. Und in einem solchen – Fachwerk vor Fabrikschlot – in Zeilsheim wohnt Hadayatullah Hübsch. In einem Häuschen am Dorfrand, zusammen mit seiner aus Indien stammenden Ehefrau und ihrem fast erwachsenen jüngsten von sieben Kindern.

Hadayatullah Hübsch führt den Gast ohne Umstände die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer. Seine „Klause“, das ist ein kleiner Raum im ersten Stock unterm Dach, voll gestopft mit Bildern, Platten, Büchern, Teppichen, Orientalismen, Erinnerungsstücken aus den Sechzigern und Siebzigern, im Grunde ein akkurat eingerichtetes modernes Antiquariat.

Der schriftstellernde Imam, so viel ist auf den ersten Blick klar, kann sich nur schwer von alten Funden trennen. Ein kommunikativer Typ, dieser Gastgeber, er will zeigen, was er für Schätze hat. Während der Besucher noch die Umgebung sondiert, beginnt Hübsch längst seine aufgetürmten Stapel hin und her zu räumen. Das Collagieren sei ihm eine große Beruhigung, sagt er, und hält mir einen Packen seiner neuen Bilder unter die Nase; noch dieses Jahr sollen sie im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt ausgestellt werden.

Öffentlichkeit ist das Lebenselixier eines sich bis heute weithin verkannt fühlenden Beatnikschriftstellers. Ein Mann, dem Günter Grass in den Sechzigern eine große Karriere prophezeite, dem aber die Launen der Revolte einen fetten Strich durch die Rechnung machten. Aus dem Luchterhand-Literaten und Beatnikrebellen wurde ein militanter Dropout, ein radikaler Hippie und dichtender Pillenwerfer.

In den Siebzigerjahren, die wilde Zeit ebbte ab, wandelte sich der libertäre Wortführer des existenzialistischen Voluntarismus in einen spirituell geläuterten Anhänger des Ahmadiyya-Islam, einer Reformbewegung. Das war eine Sensation, die Szene hatte schon viel gesehen, aber das noch nicht: Islam? Manche der radikalisierten Freunde zog es in den Untergrund, aber der verrückte Paul-Gerhard Hübsch ging ins einzige islamische Gotteshaus Frankfurts zum Beten. Schließlich änderte er seinen Vornamen in Hadayatullah – der von Gott Geleitete. Veröffentlicht hat er in all den Jahren auch weiterhin Gedichte und journalistische Texte, wo man ihn ließ: in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, kleinen Anarchoverlagen oder islamischen Medien. Das Blatt der altbürgerlichen Szene jedenfalls kündigte Hübschs Engagement, als der wie Tausende anderer Bürger Ende der Siebziger vor dem Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen warnte.

„Machen Sie sich bitte über die Gestaltung der Zeitung für Frankfurt keine weiteren Gedanken“, schrieb ihm 1979 der FAZ-Redakteur Erich Helmensdorfer. Bei Hübsch hörte für Helmensdorfer der Spaß auf: „Ihre Behauptungen über Berichte von der Jugend sind unzutreffend. Ich halte es nicht für möglich, dass die FAZ einen freiberuflichen Mitarbeiter im Namen der Zeitung beschäftigt und damit in der Öffentlichkeit auftreten lässt, der in persönlichem Habitus und Umgang eine außergewöhnliche, jeglichen bürgerlichen Rahmen des Abendlands sprengende Erscheinung ist.“ Eine schmerzliche Erfahrung, wie Hübsch noch heute meint, nach acht Jahren als Autor abserviert zu werden. Ausgleichende Kräfte waren im Frankfurt der Straßenschlachten wenig gefragt.

Und da steht sie also nun in seiner Kruschtelkammer, die „jeglichen bürgerlichen Rahmen des Abendlands sprengende Erscheinung“, ein freundlicher, bärtiger, inzwischen 62 Jahre alter Herr, der sich unschlüssig scheint, ob der Besucher aus Berlin auch den US-amerikanischen Komikeinfluss in seinen Bildcollagen richtig erkenne – etwa Hulk, Mickymaus, Buffalo Bill. Nichts scheint einem Hippie der ersten Stunde unangenehmer, als für kulturell antiamerikanisch gehalten zu werden. Er, 1946 geboren, der sich die frühe Bundesrepublik, Mief und wieder Mief, ohne Reedukation, Pop ’n’ Roll lieber nicht vorstellen möchte.

Der prominente Achtundsechziger ist, oberflächlich betrachtet, jedoch nicht immer leicht einzuschätzen. Aufschäumende Kritik linker Provenienz hat dem unorthodoxen Konvertiten eingetragen, dass er sich in der Vergangenheit wiederholt auf rechtsextreme Publikationen eingelassen hat. Nein, er ist kein zweiter Horst Mahler, der von RAF über die APO („Außerparlamentarische Opposition“) zur NPD wechselte, nur sprach und spricht Hübsch halt auch immer wieder mit Rechten.

Durch das Haus zieht ein appetitanregender Geruch von indischen Gewürzen, anscheinend wird im Parterre pausenlos geköchelt. Hübsch, unterwegs in Strümpfen, trägt ein Tablett mit Kaffee, Keksen sowie kleinen Kebabs mit Minzjoghurtsauce herein und stellt es auf den Teppichboden. Der Imam ist immer noch ein Hippie, aber ein halbwegs zur Ruhe gekommener. Für seine Freunde ist er der wissende Humanist, der sich, wie etwa auf der christdemokratischen Seite der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, als ein Provokateur im Geiste der Aufklärung versteht. Für seine Kritiker bleibt er ein gefährlicher Scharlatan, dem man Haus- und Sprechverbote erteilen müsse.

Hübsch sagt, er sei vor einigen Jahren „blauäugig in die Geschichte“ mit der Jungen Freiheit gegangen. Das ist das führende Medium der deutschen Neuen Rechten, in der er sich als Imam immer wieder zu Wort meldete. Vor vier Jahren warb er dort um Verständnis für den Neubau von Moscheen und der Integration aus anderen Kulturen Zugewanderter. Er beteuert, immer sei sein Ziel gewesen, „den Hass vom Islam wegzunehmen“, eben auch im Gespräch mit rechtsextremistischen Medien.

Von Hass sehe sich die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde immer wieder bedroht. Nun werde er aber in Flugblättern wie kürzlich bei einer Lesung in Köln selbst als Rechtsaußen bezeichnet, und in Berlin durfte er nicht im taz-Café diskutieren. Auch Bert Papenfuß, Ostberliner Poetenkollege und Mitbetreiber des Kaffee Burger, habe ihn nach Pressalien von der sogenannten Basis („Wir sind ein linksradikales Kneipenkollektiv“) ebenfalls wieder ausgeladen. Und das scheint nun auch dem friedfertigen Herrn Hübsch alles etwas zu weit zu gehen.

Er ist um Kurskorrektur bemüht, obwohl er weiterhin für sich in Anspruch nimmt, mit den Rechten nur in aufklärerischer Absicht gesprochen zu haben. Als Imam Dschuma (Leiter der Freitagspredigt) in der Frankfurter Nuur-Moschee sieht er sich jenseits klassischer Zuordnungen von dem, was links ist und was rechts. Jahrelang habe er als Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde in Deutschland „den Islam gegen stereotype Anwürfe“ zu verteidigen gehabt.

Tatsächlich wurde noch jeder Moscheenbau der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde in Deutschland von Protesten begleitet. Und wie das so ist: Die meisten Vorurteile lösten sich durch Kennenlernen in aller Regel rasch wieder auf. Die plötzlich auftretenden Sorgen alteingesessener Bürger sind zumeist anders zu bewerten als die Angriffe organisierter Rechtsradikaler. Könnten sich Letztgenannte durch Gespräche wie mit Hübsch ernst genommen, ja bestärkt fühlen? Hübsch sagt, heute empfände er es als Fehler, sich publizistisch auf den Dialog mit Rechtsradikalen eingelassen zu haben.

Um von Hadayatullah Hübschs Haus in Zeilsheim zur Nuur-Moschee in den Frankfurter Süden zu gelangen, muss man quer durch die Stadt fahren. Hinter dem Lokalbahnhof nimmt man den Bus bis zur Endstation Heinerweg, vorbei am Großen und am Kleinen Hasenpfad bis zum Waldcafé. Als die Nuur-Moschee 1959 errichtet wurde, stand hier nur Wald. Heute ist sie umgeben von Einfamilienhäusern. Weit und breit war die Moschee die einzige, aus ganz Süddeutschland kamen Muslime zum Gebet angereist. Die Minarette dieser Moschee sind niedriger als die Bäume in der Umgebung, und en miniature scheinen sie niedlich. Ein etwas Englisch sprechender älterer Herr im braunen Kaftan, „der Hausmeister“, wie Hübsch bemerkt, öffnet den Seiteneingang.

Wir sind angemeldet. Ein kurzer Gang führt über einen Nebenraum in den Hauptsaal. Der Gebetsraum misst vielleicht fünfzig Quadratmeter, Neben- und Hauptraum sind mit blaugrünem Teppich ausgelegt. An einem Seitenrund steht eine kleine Holzkanzel. Von der spricht der Imam Hübsch auf Deutsch jeden Freitag gegen ein Uhr mittags, später wird dann das geistliche Oberhaupt, der Kalif aus London, über Ahmadi-TV zugeschaltet. Auf Urdu spricht er, in der pakistanischen Landessprache, deutsche Untertitel helfen, ihn zu verstehen. In London befindet sich seit 1984 der Exilsitz der aus Pakistan vertriebenen islamischen Reformbewegung.

Hübsch ist seit über zwanzig Jahren als Laienprediger zuständig für die Frankfurter Nuur-Moschee. Ein Ehrenamt, wie er sagt, getrennt von seinem Halbtagsjob als Berater und Pressezuständiger der Gemeinde. Natürlich habe der Kalif in London einen größeren Tiefgang als er, Hübsch sieht seine Zuständigkeit mehr bei den Alltagsproblemen der Leute, gibt Hilfestellungen bei Ehe- oder Integrationsfragen und Problemen mit den deutschen Behörden. Die Atmosphäre in der Moschee wirkt sehr entspannt. Das Ungewöhnlichste für deutsche Gäste ist schon, dass sie ihre Straßenschuhe am Eingang zurücklassen müssen. Wir sitzen also in Strümpfen bei Kaffee und Keksen auf weißen Plastikstühlen im zum Hauptraum offenen zweiten Andachtsraum.

Gläubige kommen und gehen und lassen sich durch unsere Anwesenheit nicht stören, auch wenn wir durch den Andachtsraum marschieren oder fotografieren. Die meisten der in Deutschland lebenden Ahmadis stammen aus Pakistan und dem angrenzenden Gebiet in Indien. Geflohen waren sie vor den Angriffen sunnitischer Extremisten. Orthoxen Islamvertretern gelten Ahmadis als Häretiker, als Abweichler und werden entsprechend brutal verfolgt. Die Religionsgemeinde propagiert einen toleranten Islam und lehnt mittelalterlichen Quatsch wie den Dschihad ab.

Auf Druck der sunnitischen Geistlichkeit wurde sie 1974 vom pakistanischen Parlament zur nichtmuslimischen Religionsgemeinschaft erklärt, was wie schon 1953 zu einer Welle der Gewalt gegen sie führte. Seit 1984 ist den Ahmadis jegliche Missionstätigkeit in Pakistan verboten, ihre Moscheen wurden geschändet und niedergebrannt.

Die Glaubensgemeinschaft lebt heute über die ganze Welt verstreut und hat in Deutschland ungefähr 33.000 Mitglieder, darunter auch einige Konvertiten wie Hübsch. Zurzeit ist die Ahmadiyya-Gemeinde dabei, die erste Moschee auf dem früheren Staatsgebiet der DDR zu errichten, am Stadtrand von Ostberlin – gegen anfänglich massive Anwohnerproteste.

Zurück in Zeilsheim/Hoechst. Hübsch hat die Jinnahkappe wieder abgenommen, die Kopfbedeckung, welche in Pakistan von gutsituierten Leute getragen wird. Und die steht Hübsch gar nicht übel. Sein Schreibtisch ziert eine alte Elektroschreibmaschine, mit der er seine Korrespondenz erledigt. Ihr Schriftbild hat etwas Romantisches. Vom grauen Plastikrahmen eines Computerbildschirms, das Modell könnte noch aus der alten BRD stammen, hebt sich der Aufkleber ab: „Liebe Für Alle, Hass Für Keinen! Ahmadiyya.de“.

Hübsch war als Hippie ein Romantiker und ist dies auch als Ahmadi geblieben. Ein Romantiker in den Emanzipationsgrenzen seiner Zeit, was seinen privaten Lebensalltag betrifft. So sagt der inzwischen mehrfache Großvater: „Toleranz bedeutet, gewisse Unterschiede in der Ehe auszuhalten.“ Seine Frau möge zum Beispiel keinen Fisch oder könne die Unordnung in seiner Klause nicht verstehen. Doch, meint er verschmitzt, auch der Prophet habe Hausarbeit gemacht, und er tue es ihm gleich. Nur bei Verrichtungen wie dem Wickeln von Kleinkindern passe er. Dafür sei er treu – und fügt hinzu: Glück sei nach Walter Benjamin, seiner selbst ohne Schrecken inne zu werden.

„Eines Tages veranstaltete Lippmann & Rau ein Konzert mit den Doors“, erinnert sich Hübsch in seinem autobiografischen Bericht „Keine Zeit für Trips“ an das Jahr 1968. „Ich stürmte die Bühne mit Händen voller Fünfpfennigstücke und schmiss sie Morrison ins Gesicht; keine Ahnung, ob er gemerkt hat, wie ich ihm da den Kapitalismus ins Gesicht geschleudert hatte, gimme some money, man, money is all I need.“ Hübsch war keine Randfigur der Achtundsechzigerbewegung, sondern, das betont er, einer ihrer Macher. „Ich versuchte in der Szene zu vermitteln zwischen Kunst und Politik“, sagt er in einem Hörspiel von 1971, das auch eine kleine Musikgeschichte des damaligen Undergrounds beinhaltet.

„Die Szene“, das war für ihn vor allem die von Frankfurt/Main 1968 und die einiger weniger Metropolen wie in Hamburg oder Westberlin. Hübsch war über die Ostermarschbewegung, Kriegsdienstverweigerung, die Beatniks und den französischen Existenzialismus inspiriert worden. War Programmleiter des Club Voltaires in Frankfurt, bis die dortige SDS-Linke mit den alkoholfeindlichen Hippies brach. Hübsch gründete daraufhin 1968 mit seinen Freunden den „Heidi loves you shop“ im Frankfurter Westend. Man sammelte Drogenerfahrungen und hörte psychedelische Westcoastbands. Das war noch vor dem Erscheinen des Weißen Albums der Beatles im November jenen Jahres. In einem Brief erklärte Hübsch dem Stern, wie die Bewegung durch Drogenexperimente gedachte, Bewusstsein und Existenz zu erweitern: ein Mittler auch in dieser Hinsicht.

Über die Düsseldorfer Kunstszene war das erste Stroboskop nach Frankfurt in den „Heidi loves you shop“ gelangt. Der damals 25-jährige Schüler Theodor W. Adornos und Anführer des Frankfurter SDS, Hans-Jürgen Krahl, pflegte hier zu den Klängen von Grateful Dead oder Jefferson Airplane sein Feierabendbier zu trinken. Hübsch selbst konsumierte „bewusstseinserweiternde“ Substanzen, aber strikt keinen Alkohol.

Wir sind / zu bedauern

Von Hadayatullah Hübsch, 1968

„Wir sind / zu bedauern / wir, bei der Geburt vom Elternhaus gekidnapped / mit sechs ins Gefängnis entlassen / mit 21 Kalfaktor und lebenslänglich ausgepeitscht / wir, verkorkst, wir verpanscht / mit dem Freischein der jugendlichen / Aufsässigkeit / verklemmt vermurkst, verrückt:/ auf Rattenfängerjagd, / wir, verdammt, was immer noch: wir / unberaten, unzufrieden, wie ungelöschter Kalk. Ungemütlich in den / Wechseljahren kaum der Brust entwöhnt, / ungeheuer, unsicher, unbeliebt: / kein Wunder: / WIR WÄREN GERNE SO ERZOGEN WIE ERZÜRNT / wie / wir / da / sind / verheizt im wöchentlichen Urlaub vom / ich vom Klassenfeind unkontrollierbar / im Selbstmitleid. Wir / statistisch / unverwechselbar auswechselbar / wie andere vor uns / weil so ungeschickt / wie andere vor uns / ... / ... / human und geadelt, sauber gefiltert, / abgefackelt / trotzköpfig am verketzerten / Morgen / zahnstochernd / auf der / faulen Haut, wir, bekenntnisreif / nicht radikal genug nicht radikal genug. / Das: Rede ich von wir / rede ich von mir / das soll nur der Anfang sein.“

Der Veteran erzählt gerne von der früheren Zeit und bietet dabei eine Mohawkzigarette aus einer roten Packung an – Tabak ohne künstliche Aromen oder Zusatzstoffe. Gemütlich fläzt er sich in seinem schwarzen Bürostuhl. Fast vierzig Jahre nach seinem letzten Trip werde er immer noch von Halluzinationen heimgesucht, erlebe Bildwanderungen oder akustische Phänomene, die tatsächlich auf keine erklärbaren Quellen wie eine Radiosendung zurückzuführen seien. Gegen diese Flashbacks, Hübsch nennt sie Mondegreens, helfe ihm das Rauchen.

Die Drogen wären ihm 1968 fast zum Verhängnis geworden. Nach dem Attentat auf Dutschke zu Ostern kam es immer öfter zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Immer seltener hatten sie einen ironischen Unterton wie bei der „Kuchenschlacht“ ums Café Laumer, als die Frankfurter Hippieszene sich mit dem dortigen Hausverbot nicht abfinden wollte. Die Polizei schloss den „Heidi loves you shop“, und immer häufiger reiste ein von der Frankfurter Szene gelangweilter Hübsch nach Westberlin.

Dort, in der Kommune 1, war der Dichter und Musiker mit seinen immensen Drogenvorräten sehr willkommen. Retrospektiv zeigt er sich schwer genervt über „die Tyrannei von Dieter Kunzelmann“ oder „die Wehleidigkeit und das Gehabe“ eines Rainer Langhans. Hübsch gehört zu der ersten und letzten heroischen Generation, die dachte, alles unmittelbar an sich selbst versuchen zu müssen: Probier dich aus! Zum Jahreswechsel 1968/69 schluckte er eine Überdosis LSD, trieb durch die Stadt und fand sich schließlich in Bonnys Ranch, wie die geschlossene Abteilung der Berliner Psychiatrie genannt wurde, wieder.

Ein Anwalt des Luchterhand Verlages holte ihn zwei Wochen später raus. „Durch Überdosis und Klinikbehandlung war ich völlig desolat.“ Zurück in Frankfurt, sagte ihm die RAF-Militante Astrid Proll, dass „der Kunzelmann jetzt Ede heißt und untergetaucht“ sei. Statt zum Heroin zu greifen oder sich dem bewaffneten Untergrund anzuschließen, reiste Hübsch erschöpft nach Marokko und fand dort die religiöse Erweckung. „Völlig entblößt und einen Rosenkranz mit der Figur des gekreuzigten Jesus um seinen Hals rannte er in die Steppe. Eine unsichtbare Kraft hielt ihn fest und aus seiner Brust kam das Gebet: O Allah, bitte reinige mich! Es war eine Art Offenbarung, und eine mächtige Kraft sprach durch ihn.“ So lässt er auf der Ahmadiyya-Webseite seine Errettung durch Allah den Allmächtigen schildern. Als guter Künstler hatte er immer schon Sinn für Pathos.

Vom Rande der Gesellschaft her sieht vieles anders aus. Hübsch, der in binationaler Verbindung lebende Schriftsteller und Imam aus der Frankfurter Vorstadt, hat diese Perspektive freiwillig gewählt. So freiwillig, wie die Biografien von Einzelnen es nun einmal zulassen. Der Paul-Gerhard aus dem Hessischen, der zum Hadayatullah wurde und bei dem sich heute viele oft fragen, wie er denn zu seinem deutschen Nachnamen kam. Ach, dieses Deutsche…

Das deutsche Thema war in mir exemplarisch angelegt“, sagt er. „Mein Vater ist mit dem Ende des Kriegs verstummt“, habe nicht über den Nationalsozialismus und seine Managertätigkeit bei der AEG in Chemnitz gesprochen. „Er war natürlich in der Partei. Ich hab ja die Fotos gesehen, da liefen die ja mit Hakenkreuzen herum.“ Der Vater sei „innerlich verkrüppelt“ gewesen, auch wenn dieser ihn geliebt habe.

Die Frankfurter Auschwitzprozesse konfrontierten den Jugendlichen Paul-Gerhard 1963 – und mit ihm eine erste vollständig mit der Demokratie aufwachsende Generation – in Deutschland mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. „Ich sah die Berge von Haaren auf den Fotos, die Goldkro- nen und die Brillenberge. Ich war fer- tig mit den Leuten, mit der älteren Generation konnte ich nichts mehr anfangen.“

Die unmittelbare Rebellion über Drogen und außerparlamentarische Opposition kostete ihn fast den Verstand, über den Islam und die Ahmadiyya-Flüchtlingsgemeinde konnte er die Distanz zur normalen Gesellschaft wahren, bei gleichzeitigem persönlichem Wohlbefinden.

Aber das würde er, Hadayatullah Hübsch, der Spiritualist, natürlich niemals so profan formulieren.

ANDREAS FANIZADEH, Jahrgang 1963, leitet seit Oktober das Kulturressort der taz. Zuvor war er Redakteur der Wochenzeitung in Zürich und Verleger des ID Verlags in Berlin. Sein Credo: „Beat ist eine Haltung“