Der MP zeigt Nerven

Unterwegs mit Wahlkämpfern: Alles läuft gut für Christian Wulff. Und doch verliert Niedersachsens Ministerpräsident die Kontrolle – ausnahmsweise

Das ZDF-„Politbarometer“ sagt Schwarz-Gelb in Niedersachsen gute Aussichten voraus, die Koalition nach dem 27. Januar fortsetzen zu können. Laut einer am Freitag veröffentlichten Umfrage liegt die CDU bei 46 Prozent. Die SPD kommt auf 33, FDP und Grüne auf je sieben Prozent, die Linkspartei zieht mit fünf Prozent der Stimmen erstmals in den Landtag ein. Eine ARD-Umfrage hatte tags zuvor ein ähnliches Ergebnis prognostiziert. Laut „Politbarometer“ sind 41 Prozent der Wähler noch unentschlossen, bei der ARD-Umfrage waren es nur noch 17 Prozent.  TAZ

VON KAI SCHÖNEBERG

Der Ministerpräsident ist stinksauer: Das ZDF zeige viel zu wenig Bilder aus Niedersachsen, „darüber werde ich mit Intendant Schächter sprechen“, blafft er eine verduzte Reporterin an, die eigentlich nur ein Interview mit Christian Wulff führen wollte. Das ZDF hat keinen Termin, es sei halt ein „scheißkurzer Wahlkampf“, sagt Wulff. Er muss zu den Aleviten, die gegen den NDR-„Tatort“ protestieren, er kommt von einer Diskussion mit Jugendlichen, im Dienst-Audi türmen sich Akten und Anfragen.

Wulff absolviert derzeit hunderte Termine, lässt sich in angie-orangefarbenen Hallen mit Merkel, Schäuble, Beckstein feiern – ja, sogar mit Koch. Der Wettkampf um Niedersachsen geht in die Endrunde, da zeigt auch der sonst so präsidial daherkommende Schwiegersohn-Typ, der sanfte CDU-Riese Nerven. Zwar sehen die Umfragen seine CDU meilenweit vor der SPD einbetoniert, und das seit Jahren. Sogar das parteiinterne Fernduell mit Roland Koch aus Hessen kann er wohl am 27. Januar gewinnen.

Aber das reicht ihm nicht. Fünf Jahre lang hat Wulff jedes Zucken in der Regierung kontrolliert, fünf Jahre lang versucht, nichts anbrennen zu lassen, Probleme weggelächelt, abgeräumt. „Wie ein Kühlschrank“ könne er sein, sagen Wulffs politische Feinde und bitten sogleich flehentlich darum, ihren Namen nicht zu nennen. Das ist es ja: Öffentlich zeigt sich Kühlschrank-Wulff sonst nie.

Nun, bei seiner ersten Bewährungsprobe als Regierungschef, kann er nicht mehr alles kontrollieren: den Wähler nicht, die Konkurrenz erst recht nicht. Und sich selbst deshalb auch nicht, an diesem Tag auf dem Messegelände in Hannover. Ausnahmsweise. Es ist die Anspannung vor der Wahl, sagen die Wulff-Flüsterer über den „MP“, ein Ausrutscher, menschlich. Es wird der einzige Ausfall des Wahlkämpfers an diesem Wahlkampftag bleiben. Christian Wulff ist wohl so erfolgreich, weil er stets so kontrolliert ist.

Und stets gut vorbereitet: „Ich hab eine Frage“, knarzt der Ministerpräsident bei der Visite im Studio des Musikproduzenten Mousse T.: Ob Niedersachsen wieder mit einem Mousse-Song beim „Bundesvision Song Contest“ von Stefan Raab dabei ist? Dann erzählt Wulff, dass er sich einen Plattenspieler kaufen will, Lieder für seinen iPod aus dem Netz lädt und auf „Wir sind Helden“ steht.

Die Leute vom Landesjugendring, die er zu Mousse eingeladen hat, staunen nicht schlecht. Der Groll über die vier Millionen Euro, die der Sparkommissar-Wulff ihnen weggekürzt hat, schwindet, als er nebenbei Nachlässe bei den Studiengebühren verspricht. Nicht versprechen kann er, nach der Wahl wieder Verdienstausfälle für ehrenamtliche Jugendhelfer zu bezahlen. Aber es gibt eine Zusage für ein neues Treffen. Der Kümmerer-Wulff. „Wenn ich bei jedem Termin 170.000 Euro ausgeben würde“, sagt er, und alle nicken, „das wäre wohl zu teuer.“

Neujahrsempfang der CDU in der Heide. Im Festsaal des Hotels Tödter in der Gemeinde Neuenkirchen ist es stickig, 300 Parteianhänger warten. Es ist ein Heimspiel in diesem im Vergleich zu Hessen so gedämpften Wahlkampf im „Land der Innovationen, der Forscher, der Tüftler“. So erklärt es Wulff seinen Leuten auch an diesem Abend. Er sagt, dass gegen jugendliche Kriminelle „nur konsequente Härte hilft“ – aber auch, dass Niedersachsen bei der Abarbeitung von Jugendstrafverfahren bundesweit auf Platz 4 steht. Hessen steht auf Platz 16, aber das erwähnt Wulff nicht.

Lieber spult Bilanz-Wulff seine Erfolgsgeschichte ab: die vom Bürokratieabbau, bei dem Niedersachsen bundesweit Spitze sei. Die vom Wachstum, bei dem Niedersachsen bundesweit zweiter sei. Kaum jemand wisse, dass niedersächsische Firmen jede vierte in Österreich verkaufte Sacher-Torte und die Brez’n fürs Münchner Oktoberfest backen. Kurz: Es ist seine leicht variierte Standard-Rede. Und ein Start-Ziel-Sieg. Das Blasorchester Kevel spielt einen Tusch, es folgen Ovationen für den Ministerpräsidenten. „Lieber Christian“, bittet die örtliche CDU-Kandidatin, „sorge dafür, dass die Linken nicht ins Parlament kommen.“

Das ist noch nicht klar, aber wenn die aktuellen Zahlen stimmen, kann die CDU sogar mit dem linken Parteigespenst Wähler mobilisieren. Ansonsten sagen die Zahlen, dass Mitte-Wulff in den Augen der Leute vieles richtig gemacht hat. Vielleicht ist es auch nur das Image.

Ja, die CDU schäumt über die Jüttner’sche „Schmutzkampagne“: Die veröffentlichte Meinung über das Bunte-Interview des SPD-Spitzenkandidaten-Paars war katastrophal, aber die öffentliche Meinung mag davon abweichen. Die Unions-Strategen fürchten, dass das ins Gerede gebrachte Liebesleben Wulffs vielleicht doch Stimmen bei Frauen abzieht. Vielleicht macht das Wulff so nervös.

„Ich find’ den super“, sagt Helge Scheef im Hotel Tödter. Sie ist etwa 50 und seit 20 Jahren in der CDU. Was sie zu Wulffs Trennung und der Neuen sagt? „Hillary Clinton hat doch auch damals gesagt, dass sie immer wusste, dass sie nicht mit dem Papst verheiratet ist.“