Einst Nervenleiden, heute Burn-out

betr.: „Burn-out? Viele Lehrer brannten nie“, taz vom 23. 1. 08

So oberflächlich sollte man es sich gerade als taz-Redakteur nicht machen. Warum muss, bevor die Sachinformationen überhaupt beginnen, erklärt werden, dass die Aussagen von Prof. Rauin den deutschen Lehrern nicht gefallen werden. Wer sind die deutschen Lehrer, woher wissen Sie, was ihnen gefällt oder nicht?

Sie schreiben: „Von Studie zu Studie wird die Vermutung zur Gewissheit: Die falschen Studierenden wählen den Job, die Besten steigen früh aus dem Studium aus?“ Das hört sich sensationell an, hat aber mit der Studie von Rauin herzlich wenig zu tun. Ein Drittel der Befragten bricht das Lehramtsstudium vorzeitig ab, davon ein Drittel – also knapp 100 – gibt als Grund für den Abbruch oder Wechsel Unterforderung an. Aus dieser schlichten Tatsache machen Sie: „Die Besten steigen früh aus dem Studium aus.“

Prof. Rauin rückt tatsächlich nicht eine ganze Berufsgruppe in ein völlig neues Licht. Rauin hat ca. 1.100 Probanden aus Baden-Württemberg über präzise 12 Jahre in 4 Etappen befragt. Von den ca. 1.100 Probanden wechselten alleine in den ersten 3 Semestern knapp 30 Prozent die Hochschule, gingen also für die weiteren Befragungen verloren. Nach 10 Jahren (schreibt Rauin selbst) blieb nur noch eine verhältnismäßig kleine Gruppe übrig. Im Referendariat kommen von den ursprünglich 1.100 noch n = 232 an.

Von den 30 Prozent Wechslern fühlten sich lediglich 1/3 unterfordert; 25 Prozent der Probanden (= ca. 265) vom Beginn der Untersuchung wählten den Lehrerberuf als Notlösung, davon stiegen allerdings fast die Hälfte ganz aus dem Beruf aus. Bleiben ca. 130 relativ Unmotivierte übrig. Addiert man zu den 3 von Rauin beschriebenen Typen die Engagierten (44,8 Prozent) und die Pragmatischen (37,6 Prozent), ergeben sich über 82 Prozent, denen man nach den Kriterien von Rauin die Eignung für den Beruf nicht absprechen kann. Nun mögen 17 Prozent nach der Definition von Rauin „riskant Studierende“ scheinbar viel sein. Mit entsprechender Unterstützung könnte aber auch ein Teil dieser Lehrkräfte vernünftige Arbeit machen.

Im Übrigen orientierte sich Rauins Untersuchung an den Arbeiten des Schweizer Erziehungswissenschaftlers Oser, dessen wesentliches Ziel die Entwicklung von Kompetenzprofilen für 12 Bereiche des Lehrerhandelns und damit die Verbesserung der Ausbildung von Lehrkräften war. Das Positive an der Untersuchung von Rauin ist gerade, dass er als Konsequenz eine bessere Studienanfängerberatung, die Abschaffung des Beamtenstatus und nicht zuletzt die Entkoppelung von Studium und Beruf fordert.

Bei ca. 700.000 Lehrkräften in Deutschland nimmt sich die Zahl von 232 über 12 Jahre befragten Lehrkräfte bescheiden aus. Es wird auch unterschlagen, dass die in den letzten Jahren wegen „Burn-out“ vorzeitig in den Ruhestand versetzten Lehrkräfte ganz anderen Generationen entstammen und im Durchschnitt immerhin bis zum 57. Lebensjahr ihre Arbeit in der Schule gemacht haben.

Zum Schluss ein Hinweis auf das Handbuch der Schulhygiene von Burgerstein und Netolitzki aus dem Jahre 1912: Beide Autoren zitieren Untersuchungen mit ähnlichen Zusammenhängen von „riskanten“ Studierenden für das Lehramt und gesundheitlichen Problemen in den ersten 5 Berufsjahren. Man nannte das damals nicht Burn-out, sondern Nervenleiden. MANFRED TRIEBE, Berlin