: Letzte Treueschwüre
Kanzlerin Merkel hält Wahlverlierer Koch die Stange. Doch die CDU orientiert sich an Sieger Wulff
Nach der Wahlschlappe von Roland Koch sucht die CSU jetzt einen wählerfreundlicheren Kurs zwischen rechts und Mitte. Am Thema Kriminalität ausländischer Jugendlicher will man festhalten. Die Wähler wollten „als Deutsche Herr im eigenen Hause bleiben und nicht als ‚Scheißdeutsche‘ beschimpft werden“, erklärte der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer. Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte, das Thema innere Sicherheit beschäftige die Menschen. Nur müsse es glaubwürdig dargestellt und nicht taktisch in den Wahlkampf eingebracht werden. Die CSU will sich aber auch dem Sozialen zuwenden. Es müsse deutlich gemacht werden, dass sich die CSU für die sozialen Belange der Menschen einsetze, meinte Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein. Man werde aber nicht der Linken hinterherlaufen. „Wir wollen als Vertreter des konservativen Flügels gelten.“ DPA, AP
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Sie darf ihn jetzt nicht hängen lassen. Das weiß Angela Merkel, als sie erstmals öffentlich über das schlechte Wahlergebnis von Roland Koch in Hessen spricht.
Achtzehn Stunden lang hatte die Kanzlerin und CDU-Chefin geschwiegen seit Kochs dramatischen 12-Prozent-Verlusten. Achtzehn Stunden vergingen, in denen über das bevorstehende Karriereende Kochs spekuliert wurde. Jetzt, am Montagmittag bei der gemeinsamen Pressekonferenz in der Berliner Parteizentrale, erwartet die CDU von ihrer Vorsitzenden endlich Worte der Aufmunterung für Koch. Das ist sie ihrem Parteivize schuldig. Schließlich hat er sie auch nicht hängen lassen. Damals, vor zwei Jahren, als Merkel selbst bei der Bundestagswahl enttäuschend abschnitt, war Koch einer der Ersten, der öffentliche Treueschwüre von sich gab und Merkel ermunterte, trotz ihres äußerst knappen Vorsprungs vor der SPD die Kanzlerschaft anzustreben. Und er war seitdem stets loyal. Koch hat also noch was gut.
Innerlich mag die Machtpolitikerin in ihr frohlocken, weil einer ihrer ehrgeizigsten Parteifreunde als potenzieller Rivale vorerst ausgeschieden ist. Vielleicht glaubt Merkel sogar, dass Koch sein Amt als Ministerpräsident bald abgeben muss, weil er in seinem Landtag kaum noch eine Mehrheit zustande bringen wird. Mit der FDP reicht es nun mal nicht, und die Ypsilanti-SPD will nicht mit Koch regieren. Schlechte Aussichten. Aber das alles darf Merkel jetzt nicht sagen. Nicht jetzt, achtzehn Stunden nach der Wahl, die vor allem für den konservativen Flügel der Union ein Schock gewesen ist. Jetzt gilt es zu retten, was zu retten ist. „Die CDU ist stärkste Partei geworden“, sagt Merkel deshalb über das hessische Ergebnis. „Das heißt, es gibt einen Regierungsauftrag für Roland Koch.“
Diese Interpretation ist die offizielle Sprachregelung, die Generalsekretär Ronald Pofalla schon am frühen Morgen ausgegeben hat und die alle namhaften CDU-Politiker befolgen. Vorsprung ist Vorsprung – das soll sich in den Köpfen festsetzen, damit Koch wenigstens noch eine Weile so tun kann, als habe er das Heft des Handelns weiter in der Hand. Langfristig handeln, also weiter regieren, könnte er in Hessen aber aller Aussicht nach höchstens dann, wenn er die SPD zu einer großen Koalition überredet. Dazu brauchte es erstens einen sensationellen Sinneswandel der hessischen SPD – und zweitens eine Genehmigung der Kanzlerin. Das bedeutet, dass sich Merkel korrigieren muss, denn sie hatte eine große Koalition in Hessen vor Sonntag noch kategorisch ausgeschlossen. Mit der linken SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti sei eine Zusammenarbeit „schlicht und ergreifend unmöglich“, hatte Merkel großspurig erklärt. Vor der Wahl. Über diese Festlegung geht Merkel nach der Wahl so lässig hinweg wie der Namenspatron des Konrad-Adenauer-Hauses, den sein „Geschwätz von gestern“ auch nie interessierte. Natürlich könne Koch nun „mit allen sprechen, wie man eine Regierung hinbekommt“, sagt Merkel. Mit allen, außer mit der Linkspartei. Koch, das macht Merkel deutlich, hat erst einmal volle Rückendeckung, um seine kleine Restchance auf Machterhalt zu wahren.
Während die Öffentlichkeit also eine demonstrativ solidarische Parteichefin erlebt, bekommt Koch hinter verschlossenen Türen auch Merkels andere Seite zu spüren. Ihre kühle Seite. Mit den herben Verlusten des Hessen will sie persönlich nichts zu tun haben. Das macht Merkel in der CDU-Vorstandssitzung, wie Teilnehmer hinterher berichten, mehr als deutlich klar. An der Bundespolitik habe es nicht gelegen, sagt sie dort. Als sie die schlechten hessischen und vergleichsweise guten niedersächsischen Wahlergebnisse analysiert, erklärt Merkel trocken, bei beiden Wahlen hätten „vor allem landespolitische Aspekte“ eine Rolle gespielt, nämlich „Inhalt, Person, Strategie.“ Eine schallende Ohrfeige für Koch und seinen Wahlkampfstil – und niemand widerspricht. Im Gegenteil. Koch ist selber schuld – so sehen es viele in der CDU, und manche sagen es sogar ziemlich offen. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller erklärt, Koch hätte statt über Ausländer und Jugendkriminalität lieber über „die größte Sorge der Menschen, nämlich die Sorge um die Arbeitsplätze“ sprechen sollen. Auch der schleswig-holsteinische Kollege Peter Harry Carstensen kommt zu dem Schluss: „Die Menschen wollen offensichtlich keine polarisierenden Wahlkämpfe.“ Insgeheim dürfte sich auch Merkel in ihrem betont mittigen, präsidialen Stil bestätigt fühlen. Vom sanften Wulff lernen heißt siegen lernen. Kritik vom rechten Flügel muss sie bis auf weiteres kaum fürchten. Die Stimmungslage in Merkels Umfeld nach Kochs Verlusten beschreibt ein CDU-Regierungspolitiker, der ihr nahesteht, so: „Schadenfreude intern und Solidarität nach außen.“