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Archiv-Artikel

Adler Sturzflug

Berti Vogts’ Nigerianer schaffen es zwar mit Mühe und Not ins Viertelfinale des Afrika-Cups, doch der Deutsche fremdelt mehr denn je als Trainer der flügellahmen „Super Eagles“

AUS SEKONDI DANIEL THEWELEIT

Die Freude währte nur kurz bei Berti Vogts. Nachdem seine nigerianische Nationalmannschaft nach fünf torlosen Halbzeiten beim Afrika-Cup doch noch einen 2:0-Sieg gegen Benin erkämpft hatte und damit tatsächlich im Viertelfinale steht, brach wilder Jubel aus. Auch Vogts strahlte für einige Momente. Doch als ein Mitglied des Betreuerstabes den klein gewachsenen Trainer in die Luft hievte, um ihn hochleben zu lassen, sah er gar nicht mehr glücklich aus. Vogts wehrte sich energisch und verzog sich eilig. Der frühere Bundestrainer ist schlichweg nicht geschaffen für solche emotionalen Ausbrüche.

Die Spieler hingegen feierten ihren Vorstoß ins Viertelfinale wie einen Titelgewinn. Stürmer Peter Odemwingie sagte, der Erfolg sei „so etwas wie ein Wunder“, alle hatten ja geglaubt, die frankophonen Nachbarstaaten Elfenbeinküste und Mali würden sich auf ein Unentschieden einigen. Das hätte beiden einen Platz unter den besten acht Teams des Turniers garantiert und die Nigerianer aus dem Turnier befördert. Doch die Ivorer gewannen klar mit 3:0. „Wir müssen uns bei der Elfenbeinküste bedanken“, sagte Berti Vogts.

Nun steht er im Viertelfinale, doch angekommen in Afrika ist er noch immer nicht. Die Pressekonferenz nach dem Spiel schwänzte er mit der Begründung, „das tue ich mir nicht noch mal an“. Nach den ersten beiden Partien hatte er dort Fragen als „arrogant“ abqualifiziert, die Emotionalität Afrikas scheint einen Fluchtreflex in ihm auszulösen. Nur mit europäischen Journalisten spricht er noch.

Zum Interviewtermin kommt der 61-Jährige in Adiletten angeschlurft. Seine Haut ist gerötet von der Sonne Ghanas, seine Stirn liegt in Falten, doch er gibt sich gelassen. Auf die Frage, ob er spüre, dass das Abenteuer Nigeria ganz schnell vorbei sein könnte, entgegnet er: „Aus dem Alter bin ich raus. Seit dem ersten Spiel hängt mein Job hier am seidenen Faden.“ Nach den beiden sieglosen Partien gegen die Elfenbeinküste (0:1) und gegen Mali (0:0) wurde schon über mögliche Nachfolger spekuliert, mehrere Zeitungen nannten den Namen Luis van Gaal. Mehr als in Europa sind Journalisten in Afrika fast immer auch Fans.

Nach dem zweiten Gruppenspiel haben sie die „Super Eagles“ – so wird das Team genannt – in „Super Chickens“ umgetauft. Wenn Vogts den Titel nicht hole, dann werde er sofort entlassen, sagen die Berichterstatter, die vor den Toren des Raybow Hotels, der Residenz der Nigerianer, herumlungern. Ein Aus im Viertelfinale am Sonntag gegen Gastgeber Ghana (18 Uhr, live auf Eurosport) würde ihm vermutlich einen prominenten Platz in der Liste der größten Fehlgriffe aller Zeiten verschaffen.

In der Lounge des Hotels, in der die Spieler essen, hängt ein großes Plakat, auf dem mit dicken Buchstaben steht, was die Mehrheitsmeinung in der Heimat ist: „Super Eagles, ihr seid wertvolle Botschafter Nigerias. Bringt den Afrika-Cup mit zurück.“ Der Präsident des nationalen Fußballverbandes hat das Poster aufhängen lassen, unmissverständlicher kann man die Ziele nicht formulieren.

Berti Vogts gefällt diese Erwartungshaltung natürlich überhaupt nicht. „Vor zwei Jahren hatte diese Mannschaft nicht mal die Qualität, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren“, sagt er. Der letzte Sieg bei der Kontinentalmeisterschaft liegt 14 Jahre zurück. „Aber Nigerianer sind sehr selbstbewusst“, meint Anthony Baffoe, der ehemalige Bundesligaprofi, der das Turnier mitorganisiert – er ist diplomatisch, sonst hätte er vielleicht sogar „größenwahnsinnig“ gesagt. Zur absoluten Weltklasse zählt derzeit kein nigerianischer Spieler, immer noch in der Champions League vertreten ist nur John Obi Mikel vom FC Chelsea London.

Mikel steht am Pool, als Vogts’ Assistent Steffen Freund vorbeikommt, den Arm um seine Schulter legt und ein wenig plaudert. Es ist dieser in der Fußballwelt so gerne praktizierte konspirative Smalltalk. Beide lachen. „Sie sind nette Leute, ich hoffe, wir können noch viel von ihnen lernen“, sagt Mikel über das Trainerteam, dem neben Vogts und Freund auch Uli Stein angehören. Doch die beiden Assistenten wirken besser integriert.

Nachmittags beim Training übernimmt Freund das Kommando. Seine Anweisungen formuliert er in flüssigem Englisch, er albert mit den Profis herum, während Stein einen freundschaftlichen Ringkampf mit dem Mittelfeldspieler George Olofinjana führt. Vogts steht etwas abseits. Als stiller Beobachter mit verschränkten Armen, einsam sieht er aus. Später sagt er: „Wir sind ja schon keine Europäer mehr für die, sie binden uns ein, sie hören zu, wir stehen nicht am Rande der Gruppe, wir sind Teil der Gruppe.“ Nur mit der Gruppe zu feiern, ist ihm doch zu viel.