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Archiv-Artikel

Wucht im Nackenbereich

Alles geben, bis zur Armmassage: Ein Rundgang durch das Festival Club Transmediale – wo man sich erst als New-Age-Opfer fühlte, zum Schluss aber sogar das super Neunzigertechnoclubgefühl aufkam

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Wenn man über keine Kinder verfügt, die später mal Astronomen oder Raumfahrer werden wollen, kommt man eher selten in ein Planetarium. Als Club-Transmediale-Gänger war man am Mittwoch deshalb geradezu aufgeregt, dass man den milchig glimmenden Kuppelsaal des Planetariums an der Schönhauser Allee zu ganz kinderlosen Konzertzwecken betreten durfte.

Man wollte Überwältigung. Und die kam, gleich zu Beginn des Auftritts des Mexikaners Murcof, in Form des Zeiss’schen Sternenprojektors aus dem Boden gefahren, lautlos blinkend, wie eine riesige stählerne Gottesanbeterin. Der Projektor warf dann unendliche Weiten in die Kuppel, Sternbilder und Milchstraßen, Schnuppen und Kometenschweife – wozu Murcof seine elektronische Space-Oper „Cosmos“ vorspielte.

Die büßte aber, trotz oder wegen des überwältigend sphärischen Surround-Sounds und des visuellen Overkills, im Vergleich mit der Tonträgerversion einiges an Dynamik, Fragilität, Allverlorenheit, gläserner Kälte und Pomposität ein. Zu sehr fiel die Musik mit dem psychoaktiven Sternenhimmel über einem in eins, zu stark musste man sich irgendwann als New-Age-Opfer begreifen. Murcof nur mit Wohnzimmerboxen und ohne Planetarium ist besser.

Dass vor ihm noch Klimek am Laptop schlecht klingende Samples richtungslos aneinandergeklebt hatte und zwei Russen in unsäglichen Cyberpunk-Anzügen per Laser unfassbar langweilige Seifenblasenoberflächen in die Kuppel projizierten, wollten wir eigentlich unerwähnt lassen.

Weiter ging es in der Maria am Ostbahnhof mit der Nacht, in der sich der CTM traditionell mit den Entwicklungen im Feld des Metal-Anverwandten befasst. Lustig waren Ives #1. Da schwitzte Alboth!-Schlagzeuger Michael Wertmüller sein dramatisch weit aufgeknöpftes Hemd langsam von oben nach unten durch, da riss dem kugelbäuchigen Bassisten, auch dramatisch, die tiefste Saite, während der am ehesten jugendliche Vokalist von den wild muckenden Kollegen völlig unbeachtet Hasserfülltes ins Mikro schrie. Danach spielten Utarm aus Norwegen, die nach eigenen Angaben „true satanic desperation not bound by musical structures“ machen. Armer Deibi, wenn seine Gefolgschaft nurmehr aus zwei blässlichen Teenage-Nerds besteht, die dem Publikum platte Popos in schwarzem Jeansstoff zuwenden, ihren Gitarren einige leicht angedronete Proberaum-Akkorde entwinden und nach zwanzig Minuten wie begossene Pudel davonschleichen.

Da leisteten sich die Wolves in the Throne Room zu Recht mehr Selbstbewusstsein. Die Neulinge auf SunnO)))s Label Southern Lord spielten sich mit viel Wucht und viel Bewegung im Nackenbereich durch den nur mit einigen Kerzen erhellten Bühnennebel. Die Lautstärke war gewaltig, der Schlagzeuger trat mit großer Präzision die Double-Bass-Drum, der Sänger kreischte wie ein erzürnter Schlumpf. Die Wolves klangen wie eine klassische, dem Kitsch nicht abgeneigte New-Wave-of-British-Heavy-Metal-Band in übersteuert und in schnell. Was nicht schlecht war, aber auf Dauer auch nicht mindblowing fesselnd.

Das aber kam mit – endlich und ziemlich unerwartet – Shit and Shine, diesem Projekt, das man bislang unter „intellektuelle Bongogruppe, gähn“ verbucht hatte. Neun Extraschlagzeuger hatten die Londoner diesmal rekrutiert, darunter Thomas Götz von den Beatsteaks, Sebastian Vogel von Kante und Mai-Linh Truong, Ex-Surrogat. Die hockten dann in Dreiergrüppchen im Raum verteilt und klopften zu subtilem elektronischem Geräuschel ein immer gleiches eintaktiges Pattern in die Felle. Alle zusammen, anderthalb Stunden lang.

Man selbst stand locker zwischen den ganzen Toms und Snares herum, eingehüllt von synchronen Körperbewegungen und dem stoischen Schlagzeugsound, und hatte plötzlich ein schon länger nicht mehr gefühltes Gefühl: das Neunzigertechnoclubgefühl. Super. Einfach weiter. Immer weiter.

Aber um halb fünf gab Mai-Linh als Letzte mit einem Mini-Urschrei auf, den Kollegen wurden bereits die Arme massiert.

Der CTM geht erst morgen zu Ende.