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Archiv-Artikel

Kamelle? Karibik!

Mal was anderes als immer die Versuche, rheinische Karnevalsmusik nach Berlin zu exportieren: André Herman Düne nennt sich ab sofort Stanley Brinks und bringt mit seiner Freundin Clemence Freschard den Calypso in die Hauptstadt

Coverversionen von Calypso-Klassikern aus den Dreißigern – damit hat dies Traumpaar offenbar den Nerv der Berliner Bohemiens getroffen

Dieser Tage werden einige Bonner Exilanten wieder einmal versuchen, ihre rheinische Karnevalskultur ins preußische Berlin zu verpflanzen – vermutlich wie immer ohne nennenswerten Erfolg. Vielleicht haben die westdeutschen Jecken einfach die falsche Musik. Sie sollten sich ein Beispiel nehmen an den schwarzen Sängern aus Trinidad, die vor 70 Jahren die karibische Karnevalsmusik nach New York exportierten und dort ein wahres Calypso-Fieber auslösten.

Als ungewöhnliche Botschafter des Calypso betätigen sich derzeit zwei Musiker aus Frankreich, die seit mehreren Jahren in Berlin leben: Clemence Freschard und Stanley Brinks. Das Traumpaar der hiesigen Anti-Folk-Szene hat soeben unter dem Namen „Kreuzberg Museum“ eine CD mit Coverversionen alter Calypso-Klassiker aus den Dreißigerjahren aufgenommen – und damit offenbar den melancholischen Nerv der in Berlin gestrandeten Bohemiens aus aller Welt getroffen. Wer kürzlich bei der Live-Premiere des Calypso-Albums im Schokoladen in Mitte zugegen war, fand sich wieder inmitten einer englischsprechenden Fangemeinde, die den Liedern aus der Depressionszeit ergriffen lauschte, als seien sie fürs Hier und Jetzt geschrieben. Das liegt auch daran, dass Freschard und Brinks auf jegliche Weltmusik-Exotik verzichten und die Songs in spärlicher Singer-Songwriter-Manier präsentieren.

Ursprünglich diente die karibische Karnevalsmusik dazu, den sozialen und politischen Belangen der schwarzen Bevölkerung Gehör zu verschaffen. So richtete sich der Song „Shop Closing Ordinance“ einst gegen die verschärften Ladenöffnungszeiten der britischen Kolonialbehörden auf Trinidad, unter denen vor allem die afroamerikanischen Kleinhändler zu leiden hatten. Bei Freschard und Brinks wird daraus eine Art Liebeserklärung an den Berliner Spätkauf als sozialen Treffpunkt für urbane Nachtschwärmer. Eine Calypso-Hymne an King Edward VIII., der im Jahre 1937 auf den britischen Thron verzichtete, um eine bürgerliche Amerikanerin zu ehelichen („It was love alone that caused King Edward to leave the throne“), bekommt in der Interpretation von Brinks und Freschard beinahe eine autobiografische Note. Denn Eingeweihte wissen: Hinter dem Pseudonym Stanley Brinks verbirgt sich in Wirklichkeit André Herman Düne. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder David-Ivar und weiteren Wahlverwandten hatte dieser zuletzt als „Herman Düne“ mit schlaksigem Lo-Fi-Pop das Musik-Feuilleton erobert.

Auf dem Höhepunkt des Erfolges – die Band hat gerade ihr erstes Album auf einem Major-Label veröffentlicht – hat sich André Herman Düne nun entschlossen, das Zepter aus der Hand zu legen, die Band zu verlassen und einen neuen Bühnen-Namen anzunehmen. Statt sich dem zu erwartenden Tournee-Marathon zu unterwerfen, will er mit seiner Freundin Freschard in Berlin bleiben, um auch weiterhin mit ihr auf den Mini-Bühnen der Stadt zu spielen. Das war eine gute Entscheidung. Denn während die neue Veröffentlichung seiner Ex-Band („Giant“) eine Spur zu gefällig daherkommt, läuft Brinks im Duo mit Freschard zu neuer Form auf, indem er die karibische Erzähltradition aufnimmt und mit seinem eigenen kauzigen Humor weiterspinnt. Und wenn dazu Freschard in ihrem ganz und gar nicht akzentfreien Englisch über mysteriöse Todesfälle zur Fastnachtszeit singt, wird vollends klar, dass der Calypso mehr zu bieten hat als „Kamelle un Strüßje“. NOEL RADEMACHER

Kreuzberg Museum: Calypso (Radicalbaboon 2008)