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Archiv-Artikel

Ein Tribunal für die Gymnasien

Eine Anhörung der Linken über die neuen Gemeinschaftsschulen führt die Beteiligten zu der Frage: Wann werden endlich die Gymnasien abgeschafft? Doch Gymnasiallehrer blieben der Anhörung trotz Einladung fern

Irgendwann platzt dem Direktor der Heinrich-von-Stephan-Oberschule der Kragen: „Die Gymnasien sind mir so was von egal“, ruft Jens Großpietsch. „Wenn die Eltern unbedingt Paukerschulen wollen, dann sollen sie ihre Kinder doch am Gymnasium anmelden.“ Eigentlich hat die Linkspartei am Donnerstagabend zu einer Anhörung über die Gemeinschaftsschule eingeladen. Doch rasch verwandelt sich der Saal im Abgeordnetenhaus in ein Tribunal für die Gymnasien.

Anwesend sind Vertreter der neuen Gemeinschaftsschulen, in denen Kinder künftig von der ersten bis zur zehnten Klassen gemeinsam und ohne Aufteilung nach Schularten lernen werden. Auch Abgeordnete der Linkspartei und Mitglieder der Lehrergewerkschaft GEW sowie des Grund- und Gemeinschaftsschulverbandes sind gekommen.

Nur die Gymnasien fehlen – trotz Einladung. Die Gemeinschaftsschule sei ein „Schultyp von gestern, nämlich die Einheitsschule der DDR“, schrieb Ralf Treptow, der Vorsitzende der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, in seiner Absage an die Linke. Doch sein Gymnasium soll nach dem Willen der Linken nicht mehr als eigenständige Schulform existieren – genauso wenig wie Real-, Haupt- und Grundschulen. „Es geht darum, das gesamte Schulsystem integrativ umzugestalten“, erklärt der bildungspolitische Sprecher der Linken, Steffen Zillich. Ab 2011 sollen alle 800 Berliner Schulen schrittweise in Gemeinschaftsschulen überführt werden. Im September machen sich zunächst 11 Schulverbünde auf den Weg. „Das ist kein neuer Modellversuch und keine siebte Schulform neben anderen“, stellte Zillich klar. Er verspricht der neuen Schulform Erleichterungen: etwa Klassen mit nur 24 Schülern.

Grundlage für die Einführung der Gemeinschaftsschulen ist eine Änderungen im Schulgesetz, die SPD und Linke vereinbart hatten: kein Sitzenbleiben mehr, kein Probehalbjahr und keine Aufteilung in gute und schlechte Schüler in den „harten“ Fächern, wie Mathe und Deutsch. Sie werden in der nächsten Woche im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses beraten. CDU und FDP, die Gralshüter des Gymnasiums, schäumen, die SPD zittert bereits vor der eigenen Courage – und legt sich im Gesetzentwurf nur noch auf eine „mögliche“ Einführung der Gemeinschaftsschule in der Fläche fest.

Dennoch kann das Pilotprojekt die Berliner Schullandschaft noch ordentlich zum Beben bringen, meint Ulf Preuss-Lausitz, Erziehungswissenschaftler an der TU Berlin: „Der Gesetzentwurf eröffnete neue Möglichkeiten für alle Schulen. Sogar Gymnasien können auf das Sitzenbleiben verzichten und sie müssen nun erklären, warum sie dennoch daran festhalten.“ Denn die für Gemeinschaftsschulen ausgetüftelten Änderungen werden auch andere Schulen auf Antrag ausprobieren können.

Preuss-Lausitz hatte schon in den 70er-Jahren die Einführung der Gesamtschulen begleitet. Die sind zwar im Einzelfall erfolgreich, doch insgesamt ein bildungspolitischer Flop, den die SPD bis heute nicht verwunden hat. Die Mittel- und Oberschicht hatte ihre Kinder nach wie vor aufs Gymnasium geschickt, ein Abschluss an einer Gesamtschule wird als „Discountabi“ angesehen. Preuss-Lausitz kommt daher zu dem Schluss: „Die Gemeinschaftsschule darf keine eigene Schulform werden. Ziel muss die Übertragbarkeit in der Fläche sein.“ Daher müssten Gymnasien bereits jetzt mit einbezogen werden.

Doch auch die Pädagogen in den Gemeinschaftsschulen können das Projekt in Bedrängnis bringen – mit ihrer oft altertümliche Frontal-Pädagogik. Alle Lehrer müssten das Prinzip verinnerlichen, dass kein Schüler ausgegrenzt werde, meint Preuss-Lausitz. ANNA LEHMANN