berliner szenen Aber uns geht’s gut

Karneval bei Karstadt

Die erste Irritation bereitet mir Karstadt am Hermannplatz bereits vor der Tür: „Brauchst du noch Kleingeld?“, höre ich einen Bettler fragen. „Nein danke“, antworte ich verblüfft und ärgere mich Sekunden später. Da hat er mich aber fein aufs Glatteis meiner stereotypen Erwartungen geführt. Natürlich hätte ich Kleingeld gebraucht. Ich brauche immer Kleingeld. Aber so habe ich in ängstlicher Voraussicht vorschnell abgelehnt. Schöne Scheiße. Oder sollte ich ihn falsch verstanden haben?

Drinnen haben sie jetzt eine Karnevalsabteilung. Wir haben ja nun die fünfte Jahreszeit. Zwar nicht hier, doch anderswo, und Karstadt denkt ja immer, wir wären anderswo. Ich glaube, die müssen das tun, so als Laden: Think global, think positive, think pink. In der Tat scheinen sie derzeit am Hermannplatz zu denken, wir seien wirklich anderswo: „Zipfel rein, Zipfel raus, aber uns geht’s gut, uns geht’s gut“, schallt es durch die Gänge mit den Faschingsartikeln. „Ja, wo sind wir denn?“, ist die erste Frage, die mir durch den Kopf schießt, und die zweite: „Geht’s uns’ Karstadt wirklich noch gut?“

Auf der Suche nach analogen Artikeln wie riesigen aufblasbaren Schwänzen werde ich jedoch nicht fündig. Schade, da muss es im Sommer für den Badesee doch wieder eine banale Luftmatratze tun. Holzschwerter für die Kinder vom Südstern und Spiderman-Kostüme für kleine Neuköllner – in etwa entlang dieser Kundenwünsche bewegt sich das schmale Sortiment.

Zurück auf der Straße, ist der Bettler fort. Wahrscheinlich holt er in der Bank gegenüber frische Rollen mit Kleingeld. Kurz überlege ich, ob ich hier auf ihn warte. Dann entscheide ich mich doch für den Heimweg – andere haben sein Geld nötiger als ich. ULI HANNEMANN