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Archiv-Artikel

Familien müssen Spucke lassen

Behörden verlangen DNA-Tests, wenn Migranten ihre Kinder nachholen wollen. Das ist zwar nur in Ausnahmen erlaubt, sei aber gang und gäbe, beklagen Anwälte. Laut Innensenator ist alles freiwillig

VON DUNJA BATARILO

In Berlin lebende Migranten sind de facto gezwungen, einen DNA-Test zumachen, wenn sie ihre Kinder nachholen wollen. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erklärt zwar auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Bilkay Öney (Bündnis 90/Die Grünen), solche Tests zur Feststellung der Familienzugehörigkeit würden nicht „angeordnet“, sondern lediglich „freiwillig eingereicht“, die Berliner Rechtsanwältin Andrea Würdinger stellt jedoch fest: „Familiennachzug von Kindern ist nicht mehr möglich ohne DNA-Test.“ Auch ein anderer Berliner Anwalt, der nicht genannt werden möchte, erklärt, seine Mandanten hätten ohne Gentest so gut wie keine Chance, ein Visum für ihren Nachwuchs zu bekommen.

Aktuell betreut der Anwalt einen Mandanten, der als anerkannter Flüchtling seine beiden Kinder nachholen möchte. Die Sorgerechtsurkunde aus dem Heimatland liege vor. Trotzdem, so der Anwalt, weigere sich die deutsche Botschaft vor Ort, die Dokumente anzuerkennen – und bestehe auf einem DNA-Test. Dies ist offenbar gängige Praxis. So liegen der taz die Informationsblätter aus drei deutschen Vertretungen vor, in denen die Antragsteller darauf hingewiesen werden, dass ein DNA-Test die „einfachste praktikable Möglichkeit der Feststellung der Blutsverwandtschaft“ sei – es könne sonst „zu Verzögerungen kommen“. Von Freiwilligkeit kann dabei offenbar keine Rede sein: Im Falle von Afghanistan etwa hat die taz ein Papier des Auswärtigen Amtes, wonach in Kabul „in Visa- und Passangelegenheiten grundsätzlich die Durchführung eines DNA-Gutachtens eingeleitet [wird], um die Abstammung eines Kindes zu klären“.

Dabei ist die rechtliche Grundlage dieser Praxis höchst umstritten: Während die Ausländerbehörden auf die gesetzliche Mitwirkungspflicht der Betroffenen verweisen, erklärt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage, DNA-Tests seien „in Einzelfällen, nicht als Regelverfahren“ anzuwenden. Und das Verwaltungsgericht Berlin hatte im November im Fall eines Birmesen geurteilt, die Frankfurter Ausländerbehörde sei nicht berechtigt, einen Gentest von dem Flüchtling zu fordern, weil dieser die Abstammung seiner Kinder auch anders beweisen könne. Auch die Sprecherin des Berliner Datenschutzbeauftragten, Anja-Maria Gardain, findet diese Praxis der de-facto-Zwangstests „rechtlich problematisch“.

Wie oft in Berlin solche Anträge zur Abstammungsbegutachtung wegen Familiennachzug gestellt werden, kann die hiesige Ausländerbehörde nicht sagen. Im rechtsmedizinischen Institut der Charité, wo solche Untersuchungen gemacht werden, sind nach eigenen Angaben im letzten Jahr rund 40 Anträge von Antragstellern eingegangen, deren Namen auf Herkunftsländer wie Afghanistan, Irak, Nigeria und Äthiopien schließen lassen.

Für die Betroffenen sind die erzwungenen Spucke-Untersuchungen nicht nur lästig, sondern auch teuer: Bis zu 180 Euro kostet ein Gentest, etwa genauso viel muss im Heimatland für die Tests bei den Kindern gezahlt werden. Hinzu kommt: Bei Adoptionen, die in Dritte-Welt-Ländern häufig sind, kommt man mit einem DNA-Test nicht weit. Soziale oder rechtliche Elternschaft lässt sich schließlich nicht biologisch nachweisen.