: Housemusic, der Weg zur Gelassenheit
Die Produzenten Prosumer und Murat Tepeli zeigen sich auf ihrem Debütalbum „Serenity“ als glühende Verehrer von klassischer Housemusic. Mit ihrem Bekenntnis zu großen Emotionen liegen sie zufällig voll im Trend
Gefühlsbetonter Gesang, Handclaps und melodische Basslinien: In den meisten Clubs Berlins führte dieser an die Frühzeit von Housemusic gemahnende Sound bis vor kurzem ein Nischendasein. Der über die Jahre immer weiter verfeinerte Minimalismus dominierte das Tanzgeschehen mit funktionell entschlackten Grooves, obwohl sich schon seit einiger Zeit abzeichnete, dass man mit reduzierten Erlebniswelten allein auf Dauer auch nicht glücklich wird. Allmählich besinnen sich Produzenten und DJs daher wieder auf die guten alten Tage von Chicago und Detroit, und die Melodien kehren in den Club zurück.
Glücklicher Zufall
Achim Brandenburg alias Prosumer hat aus seiner Vorliebe für klassischen Chicago-House nie ein Geheimnis gemacht. Als DJ der Panorama Bar, im oberen Teil des Berghain gelegen, spielt er in seinen Sets reichlich bewährtes Material von zeitloser Qualität. An diesem Sound orientieren sich auch seine eigenen Produktionen, und das gemeinsam mit dem Kölner Produzenten Murat Tepeli entstandene Album „Serenity“, soeben bei dem zum Berghain gehörenden Label Ostgut Ton erschienen, macht da keine Ausnahme. „Turn Around“, die erste Auskopplung des Albums, ist eine nahezu traditionelle House-Nummer. Prosumer singt im Duett mit der Sängerin Elif Biçer, die tagsüber im Berghain für das Booking zuständig ist, von Trennungsdramatik. So viel Intimität war schon lange nicht mehr auf der Tanzfläche.
Wie ein Großteil der Stücke des Albums entstand die Nummer beim gemeinsamen Musizieren zu dritt: „Das Material ist aus unseren Jams hervorgegangen“, so Murat, „die Lyrics dazu entstanden am Aufnahmetag.“ Dass Achim, Murat und Elif zusammengefunden haben, erscheint wie ein glücklicher Zufall. Achim bekennt: „Ich bin extrem dankbar, dass es mit uns in dieser Form funktioniert. Denn Musikmachen ist einfach etwas sehr Intimes.“ Er und Murat lernten sich im Plattenladen kennen und fingen bald darauf an, zusammen zu produzieren: „An ein Album war da noch lange nicht gedacht.“ Da Murat in Köln wohnt und Achim in Berlin, schickten sie sich Material hin und her.
Gleichzeitig begannen sie, zu zweit aufzutreten. Bei einem ihrer Auftritte stieß Elif hinzu, eine Kollegin vom Berghain hatte sie Achim als Sängerin empfohlen. Für Murat kam das einigermaßen überraschend, wie er sich erinnert: „Achim hat mich zwar gefragt, ob es in Ordnung wäre, dass Elif mitsingt, aber ich habe das nicht wirklich mitbekommen. Auf einmal tauchte sie mit ihrer Stimme in unserem Set auf. Wir haben dann richtig gejammt. Das hat einfach super Spaß gemacht.“
Dass die drei weiter Spaß an ihrer Musik haben, konnte man zuletzt bei ihrem Auftritt während des club transmediale erleben. Als sie Altmeister Larry Heard am DJ-Pult ablösten, wirkten sie mit ihrer Musik zudem um einiges frischer als die House-Legende, obwohl gerade dieser Sound Vorbild für ihr Album ist. „Serenity“ ist das erste Künstleralbum, das bei Ostgut Ton erscheint. Für das Label, das in erster Linie Techno-Produktionen der DJs aus dem Berghain veröffentlicht, ist das durchaus ein Statement, will man sich doch keinesfalls auf eine Richtung beschränken. „Es geht hier nicht um den Sound der großen Tanzfläche, sondern um den kreativen Output dieses Ladens“, so Achim. Dass ihr Album gegenwärtig für viel Aufmerksamkeit sorgt, erscheint ihnen nicht zuletzt als glücklicher Zufall: „Es ist einfach so, dass House gerade wieder im Kommen ist“, wie Achim feststellt. „Wir haben wahnsinniges Glück mit dem Timing unseres Albums. Vor einem Jahr hätte es die wenigsten interessiert. Jetzt ist die Zeit so weit, dass gefühlsbetonte Musik wieder vorne ist.“
Heulen und Schreien
Damit werden einige Qualitäten von House erneut gewürdigt, die vorübergehend aus dem Club verbannt waren. Für Elif ist der Gesang denn auch mehr als bloß eine weitere Tonspur: „House ist für mich als Sängerin ein sehr schönes Genre: Ich kann da schreien, ich kann heulen oder leise singen. Ich kann mich wirklich austoben.“ Gefühle spielen beim Musikmachen für alle drei eine wesentliche Rolle, bei Achim sind sie sogar existenziell: „Ich hätte mein Leben oft nicht ertragen ohne Musik.“ So beschreibt auch „Serenity“ den Ausweg aus einer Krise, bei dem „einem das Leiden durch die Musik von den Schultern genommen wird“, wie er es nennt. Musik als Weg zu Gelassenheit – kein schlechtes Programm, vor allem, wenn man dazu so gut tanzen kann. TIM CASPAR BOEHME
Prosumer & Murat Tepeli: „Serenity“ (Ostgut Ton)