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Sprachliche Mischungsverhältnisse

Ferdinand Schmatz schlägt sich auf die Seite der realitätsverweigernden Romantiker und schreibt einen wilden Künstlerroman: „Durchleuchtung“

Der österreichische Autor Ferdinand Schmatz ist ein sprachbewusster Dichter. Seit den späten Siebzigerjahren schreibt er Lyrik, Prosa und Essays. Die Sprache ist dabei nicht bloß das künstlerische Medium, durch das der Dichter sagt, was er sagt, sondern die Sprache selbst rückt als etwas Eigenständiges, Lebendiges in die Texte hinein, besetzt Raum und Zeit. So ist es auch in Ferdinand Schmatz’ neuem Roman, „Durchleuchtung“, der den Untertitel „Ein wilder Roman aus Danja und Franz“ trägt.

Doch dieser Roman ist kein reines Sprachspiel, sondern hat einen klaren Inhalt: Franz, einer der drei Hauptfiguren, ist Maler. Er befindet sich meist in einem Krankenhaus und versucht, die Befunde des Herrn Professor Pokisa zu enträtseln. Franz ist vom Tod bedroht, aber ob Tuberkulose oder Krebs tatsächlich sein Leben beenden wird, bleibt in der Schwebe. Professor Pokisa wiederum ist ein Pragmatiker der Sinne, der die Säfte und Kräfte des menschlichen Körpers rein naturwissenschaftlich beurteilt. Doch im Laufe des Romans nähert er sich Franz an – und damit der Kunst. Die dritte Figur im Bunde ist Danja, die Freundin des Malers Franz. Da sie aber auch ein Verhältnis mit Pokisa eingeht, kann man sich fragen, ob nicht Goethes „Wahlverwandtschaften“ hier grüßen lassen, also ob nicht alle Figuren Mischungsverhältnisse einer einzigen sind.

All diese Figuren denken und sprechen miteinander, bewegen sich eng geführt durch Raum und Zeit. Die Zeit scheint eine kurze Strecke zu sein, eine Woche, ein Monat – vielleicht spielt sich ja alles nur in einem Augenblick ab?! Die Räume überschneiden sich: Das Krankenzimmer von Franz, sein Atelier, Spaziergänge in der Natur und Erinnerungsorte. Ist alles ein Raum, in dem man denkt und spricht? Ist alles Denken und Sprechen in Raum und Zeit nur ein wildes Durcheinander – ein „wildes Denken“, wie Franz einmal sagt, und daher, auf die Literatur übertragen: „Ein wilder Roman“?! Am Anfang von Schmatz’ Roman hat man das Gefühl, Sprache und Denken fielen eher ziellos durch eine schwarze Röhre, in die Franz’ Körper tatsächlich einmal gesteckt wird, um zu sehen, was ihm fehlt. Doch dann gelingt Ferdinand Schmatz etwas Erstaunliches: Die vielen Stimmlagen, die hier sprechen und denken, überlagern sich teilweise, so dass man von einer einzigen Stimme sprechen könnte, und doch behält jede ihr unverwechselbares Timbre.

Der bildende Künstler Franz setzt in seine Tafelbilder öfter Buchstaben und Wörter. Und sein Schöpfer Ferdinand Schmatz will an der Sinnlichkeit der Wörter und Satzzeichen festhalten, will sie – vielleicht sogar ähnlich dem Maler Franz – dem Leser vor-stellen. Dem Autor geht es also um „Sinn & Sinne“, wie der Titel eines seiner Essaybände lautet. In seinem neuen Roman macht er den Sinn und die Sinnlichkeit von Sprache auch durch Wortreihen deutlich. Das kennt man aus seiner Lyrik, etwa seit dem Band „speise gedichte“ von 1992. Aber der Autor hat sich in seinem neuen Roman auch auf die Seite derjenigen Romantiker geschlagen, denen fest gefügte, rein der Realität verpflichtete Romanstrukturen wenig galt. Man denke etwa an Novalis, Friedrich Schlegel oder E. T. A. Hoffmann. Gegen Ende des Romans „Durchleuchtung“ tritt nämlich der Erzähler als Person auf und geht ein Stück des Weges mit seinen Figuren. „Das eine, das alles andere umgreift, Danja flüsterte mir diesen Satz, nein, ja – sagen wir doch ja – dieses Bild ins Ohr, ich ahnte, was sie sagen wollte, aber traf es für Franz zu und für uns, die wir da zusammentrafen und eins werden sollten, Wort eins, Text eins, Ich eins. Wir eins. Wollten wir das?“

Ob wir es wollen oder nicht – die Kunst-Sprache ließe es zu. Die Räume überschneiden sich, die Zeit ist ein sich dehnender Augen-Blick; Franz, Danja, der Professor Pokisa und der Erzähler ein Ich, das es so nicht gibt, weil die Vielstimmigkeit nach je eigener Stimmlage verlangt. „Sinn und Sinnlichkeit“, mag der Leser denken und liest sich in Schmatz’ wildem Roman fest. ANDREAS PUFF-TROJAN

Ferdinand Schmatz: „Durchleuchtung“. Haymon Verlag, Innsbruck 2007, 300 Seiten, 19,90 Euro

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