: „Liebe ist Konsum“
Die Sehnsucht nach Liebe als Leichenfledderei: In ihrem neuen Film „Coupable – Schuldig“ macht Laetitia Masson ihre Figuren fertig
LAETITIA MASSON wurde 1966 in Nancy geboren. Seit rund zehn Jahren dreht sie Spielfilme, dabei wird sie zunehmend experimenteller. Bekannt wurde sie mit „Haben (oder nicht)“ (1996). Für die Hauptrolle erhielt Sandrine Kiberlain damals den Cesar als beste Nachwuchsschauspielerin. „Zu Verkaufen“ (1998) und „Love me“ (2000) folgten, ebenfalls mit Kiberlain. Letztere Filme waren kommerziell weniger erfolgreich, auch wenn sie gemeinsam mit „Haben (oder nicht)“ eine Trilogie über Liebe, Geld und Arbeit bilden. Für die Hauptrolle in „La Repentie“ (2002) verpflichtete Masson die französische Starschauspielerin Isabelle Adjani. „Pourquoi (pas) le Brésil? (2004) basiert auf der Romanvorlage einer Freundin Massons, der Autorin Christine Angot. Der Film wurde von dem französischen Kulturmagazin Les Inrockuptibles als der „schönste gescheiterte Film der Welt“ bezeichnet. „Coupable – Schuldig“ (2008), Laetitia Massons neuer Film, ist derzeit im Forum der Berlinale zu sehen. „Coupable“. Regie: Laetitia Masson. Mit Hélène Fillières, Jérémie Rénier, Amira Casar u. a. Frankreich 2007, 107 Min.; 12. 2., 14.30 Uhr, Cubix; 16. 2., 20.45 Uhr, Cubix
INTERVIEW INES KAPPERT
taz: Frau Masson, alle Ihre Filme drehen sich um die Suche nach Liebe im Kapitalismus. Warum so beharrlich?
Laetitia Masson: Weil die Liebe das ist, was uns verbindet, und zwar unabhängig von unserer sozialen Herkunft. Gleichzeitig hängt der Platz, den wir in der sozialen Ordnung finden, fundamental von unseren Liebesbeziehungen ab, etwa vom Umgang mit der Abhängigkeit von anderen Menschen. Die Liebe scheint mir ein guter Blickwinkel zu sein, um einen Menschen in seinem gesellschaftlichen Sein zu betrachten.
Was ist für Sie die wichtigste Veränderung im Arbeits- und Liebesleben der vergangenen zehn Jahre?
Die Liebe hat sich sicherlich mehr und mehr zu einem kommerziellen Spiel entwickelt, sie ist zu einem Konsumgegenstand geworden. Außerdem gibt es eine Rückwendung zu Werten, welche die Begierden und den Trieb zunehmend regulieren. Auch die Heirat als öffentliches Zeichen von Glück gehört dazu. Was die Arbeitswelt angeht – da hat sich natürlich viel getan. Aber immer noch produziert sie Begierden, die von den Machtverhältnissen verfälscht werden.
Derzeit ist viel von der Krise der Männer der Rede. Was halten Sie davon?
Meiner Ansicht nach geht es derzeit nicht um eine Krise der Männer, stattdessen dreht sich alles um Rentabilität. Ist eine Frau rentabel, kann sie in der Arbeitswelt ihr Ding machen. Was soziale oder amouröse Beziehungen angeht, habe ich das Gefühl, dass alles noch extrem konventionell geblieben ist. Denken Sie nur an die Kinderbetreuung usw. – und das trotz der Verbesserungen, dank der Frauenbewegung. Wir sind noch immer weit, weit von einer wirklichen Veränderung der Verhältnisse entfernt. Man muss sich ja nur die Kinowelt ansehen. Letztes Jahr in Cannes fanden sich unter rund 60 Filmemachern ganze zwei Frauen. Das ist beängstigend. Das Phantasma des großen Wurfs, des großen Films ist nach wie vor für die Männerwelt reserviert.
Ihre Männerfiguren sind stets sehr fragil. Ist das Ihre persönliche Rache?
(lacht) Das alles verhindert ja nicht, dass Männer sich einsam und verloren fühlen. Trotzdem bleibt ihre Selbstwahrnehmung, sobald es um Frauen geht, die des Eroberers. Selbst wenn sie verliebt sind.
In Ihrem Film „Schuldig“ scheitern alle Figuren radikal bei ihrer Suche nach Liebe. In ihrem ersten Film gab es noch ein Happy End. Werden Sie allmählich gnadenlos?
„Coupable“ beschäftigt sich mit der Dynamik zwischen zwei Menschen, nachdem sie ein Paar geworden sind.
Und diese Dynamik fällt immer negativ aus?
Das Schwierigste ist, die Balance zu finden. Denn Liebe ist nun mal gewalttätig.
Demnach sind Sie also Fatalistin?
Nein. Das ist weder positiv noch negativ noch fatalistisch. Es geht einfach darum, eine Illusion zu befragen. Weiß man um die Gefahr und die Schuld, kann man am Schlechten mehr Vergnügen haben. Man ist dann weniger naiv, weniger unschuldig.
In „Coupable“ werden die Figuren im Verlauf des Films zunehmend grotesker. Damit entfernen sie sich immer weiter vom Zuschauer: Die Fehler machen mal wieder die anderen.
Für mich werden die Figuren eigentlich nicht grotesker, sondern ehrlicher. Sie befreien sich immer weiter von ihren Lügen und lassen ihrer Verrücktheit mehr Auslauf. Sie sind mutiger als wir, theatralischer, weniger wirklichkeitstreu. Wir, die Zuschauer, sind eher wie der Polizist, der sich mit seinen Schwächen arrangiert.
In Ihren Filmen taucht stets ein ähnlicher – diesmal von Hélène Fillières gespielter – Frauentyp auf: groß, knochig, fremdelnd, charmant. Haben Sie keine Lust, mal etwas Neues auszuprobieren?
Man hat ja auch einen bestimmten Männertyp. Bei Hélène hat mich aber nicht nur ihr Körper berührt. Ihre Art, daneben und ungreifbar zu sein, irritiert einen. Ich brauchte eine Figur, die in Diskrepanz zur Welt steht. Bei Hélène fragt man sich nicht, ob sie ihre Entrücktheit spielt oder nicht. Sie ist einfach so.
In Frankreich gibt es mit Ihnen, Catherine Breillat oder Claire Denis Autorenfilmerinnen, die eine ganz eigene Ästhetik pflegen. Das sind vergleichsweise viele. Sind die Arbeitsbedingungen in Frankreich besser als in anderen Ländern?
Die Schwierigkeiten, als Autorenfilmerin das notwendige Geld zusammenzubekommen, geht bei uns weit über die Geschlechterfrage hinaus. Die Situation ist für alle – egal, ob Mann oder Frau – in den letzten zehn Jahren viel schwieriger geworden. Die Produzenten sind auf Stars fixiert. Eine Ästhetik, die indirekt arbeitet, etwa mit Phantasmen, hat es da im Vergleich schwer, auch wenn die Filme vergleichsweise nur wenig kosten.
Und Ihre Strategie gegen diese Repression?
Die Kosten zu reduzieren. Und irgendwie doch einen seelenverwandten Produzenten zu finden.
Keine Kompromisse?
Nein. Unmöglich. Ich kann diskutieren und mich öffnen. Aber wenn es ums Wesentliche geht, nein.
Gibt es einen Film auf der Berlinale, von dem Sie sich etwas Besonderes erwarten?
Ich liebe Paul Thomas Anderson. Wenn ich einmal von einem Regisseur begeistert bin, bin ich sehr treu. Das amerikanische Kino, zum Beispiel von Scorsese, mag ich sowieso gerne. Das deutsche Kino hingegen kenne ich nicht besonders gut. Die Filme, die in Frankreich großen Erfolg haben, wie „Das Leben der Anderen“, kamen mir konventionell vor und haben mich weniger interessiert. Das kann nicht das tolle neue deutsche Kino sein, von dem alle reden.