Ein Ende der Schalterhygiene

Rund 5.000 Niedrigverdienern in Bremen verweigern die Banken ein Girokonto. Doch kein Konto zu haben macht das Leben kompliziert – und teuer. Eine Bremer Bundesratsinitiative für ein „Jedermannkonto“ soll nun einen Rechtsanspruch begründen

Um einem entsprechenden Gesetz zuvorzukommen, hat sich die Kreditindustrie 1995 eine Selbstverpflichtung auferlegt. Diese sieht vor, dass „alle Kreditinstitute für jedeN BürgerIn auf Wunsch ein Girokonto bereithalten“. Dem „Zentralen Kreditausschuss“ (ZKA) der Bankenwirtschaft zufolge sollte die Verpflichtung „auf unbürokratische Weise dazu beitragen, die Probleme sozial schwächerer Bevölkerungskreise bei der Führung von Bankkonten zu vermeiden“. Die Verpflichtung greift nicht, wenn die Führung eines Kontos für die Bank unzumutbar wäre. Laut ZKA ist dies der Fall, wenn das Konto für gesetzwidrige Transaktionen wie Betrug missbraucht werden soll, wenn der Kunde wesentliche Falschangaben macht, das Konto durch Gläubiger blockiert ist oder wenn nicht sichergestellt ist, dass die Bank ihre Entgelte erhält. cja

Von Christian Jakob

Rücklastschriften, Überweisungsgebühren, Dispozinsen – wer die Dienste von Kreditinstituten in Anspruch nimmt, den mag es grausen, welchen Anteil des ihnen anvertrauten Geldes die Banken gemeinhin für sich abzuzweigen pflegen. Doch wer einmal auf diese Dienste verzichten muss, weil die Banken auf seine Kundschaft keinen Wert legen – für den fängt der Ärger erst richtig an.

Ein solcher Fall ist der Hartz IV-Empfänger Joseph. T. Er verdient sich als Zeitungsausträger etwas hinzu und hat so jeden Monat etwa 500 Euro zum Leben. Das Geld von der BAgIS und seinem Arbeitgeber muss er per Scheck entgegennehmen, denn ein Konto hat Joseph T. nicht. „Weil ich eine Menge alter Schulden übernehmen musste, kann ich kein Konto eröffnen“, sagt T. Er hat Angst vor Pfändungen.

Doch solche autonomen Privatfinanzen sind eine teure Angelegenheit: 6,50 Euro Bearbeitungsgebühren muss T. dafür bezahlen, dass ihm die BAgIS sein Geld per Postscheck zustellt – und zwar zweimal im Monat. Weil T. ein so genannter „Aufstocker“ ist, bekommt er seine Leistungen in zwei Raten bezahlt. Doch das ist noch nicht alles: „Allein drei Rechnungen von den Stadtwerken, für Gas, Wasser und Strom muss ich per Bareinzahlung anweisen. Dazu die Miete und Telefon – das kostet jedes Mal Geld“, sagt T. Auf 19,50 Euro summieren sich die Gebühren im Monat. Dabei kommt er noch günstig davon, denn er hat vor einiger Zeit die Landeszentralbank am Staatsarchiv entdeckt. „Da kosten die Überweisungen ohne eigenes Konto nur einen Euro, das ist mit Abstand das günstigste.“ Bei anderen Banken würden meist an die fünf Euro fällig, wenn man Geld auf ein fremdes Konto einzahlen wolle. „Davon kann ich einen ganzen Tag lang richtig gut leben.“

T. ist kein Einzelfall. Zwar schwanken die Schätzungen, doch wird bundesweit von rund einer halben Million Haushalte ausgegangen, die das gleiche Problem haben wie T. Die Solidarische Hilfe sowie die Linkspartei und die Grünen sprechen übereinstimmend von mehr als 5.000 solcher Haushalte in Bremen.

Mitte der neunziger Jahre wurde das Problem heftig diskutiert. Das böse Wort von der „Schalterhygiene“ machte die Runde, der Druck auf die Politik wuchs. Um eine gesetzliche Regelung zu umgehen, verpflichtete sich die Bankenwirtschaft, künftig niemandem mehr die Einrichtung eines Kontos zu verweigern. Juristisch verbindlich ist diese Erklärung jedoch nicht – auch nicht für die Bremer Sparkasse. „Wir geben jedermann ein Konto“, heißt es bei dem öffentlich-rechtlichen Kreditinstitut. „Ausnahmen sind in der Selbstverpflichtung geregelt.“ Laut dieser Selbstverpflichtung dürfen Banken Kunden nur abweisen, wenn sie für die Bank „unzumutbar“ sind (siehe Kasten).

Dass sich die Banken eigentlich verpflichtet haben, Leuten wie ihm ein Guthabenkonto einzurichten, ist auch Joseph T. bekannt. Doch seine Erfahrungen sind andere: „Diese Selbstverpflichtung taugt überhaupt nichts. Man braucht nur einmal einen negativen Schufa-Eintrag zu haben, dann kann man das mit dem Konto gleich vergessen.“ Auch Schuldnerberatungen klagen seit langem, dass die Banken sozial schwache oder überschuldete Haushalte oft als Kunden abweisen – und so deren Lage noch verschlimmern (siehe Interview). Für Corinna Brose, Schuldnerberaterin bei der Sozialberatung Solidarische Hilfe, ist die Sache klar: „Die Banken müssen endlich gesetzlich gezwungen werden, ein Jedermannkonto vorzuhalten.“

Dies wird mittlerweile auch auf politischer Ebene so gesehen. In der kommenden Woche wird die Bürgerschaft einen Antrag der Grünen beraten. Der Senat soll im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zu ergreifen, durch die die Banken künftig gezwungen werden, jedermann ein Konto auf Guthabenbasis einzurichten.

„Drei Rechnungen von den Stadtwerken, dazu die Miete – das kostet jedes Mal Geld“

Untersuchungen des Bundestages über die Einhaltung der Selbstverpflichtung hätten gezeigt, dass die Banken nach wie vor viele Menschen vom Zahlungsverkehr ausschließen, heißt es in der Begründung des Antrages. Andere europäische Länder hätten solche Regelungen ebenfalls beschlossen. Der Antrag hat beste Aussichten angenommen zu werden: „Die SPD trägt unsere Initiative mit“, versichert Grünen-Sprecher Matthias Makosch.

Mitgetragen wird der Antrag „natürlich absolut“ auch von der Linkspartei – auch wenn die etwas verschnupft ist, weil sie für sich das politische Urheberrecht des Vorstoßes reklamiert: Schon Anfang 2006 hat der bremische Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Axel Troost vergeblich einen entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht: „Der Gesetzgeber verpflichtet die Kreditinstitute dazu, unabhängig von der Kreditwürdigkeit jedem Bürger die Führung eines Guthabenkontos zu gewähren,“ so lautete Troosts Antrag. „Die Initiative der Grünen freut mich besonders“, sagt er nun. Denn „leider haben die Bundesgrünen meinem Antrag damals nicht zugestimmt. Er wurde in die Ausschüsse verwiesen und dort ist er immer noch“. Eine Bundesratsinitiative „könnte die Diskussion erneut beleben“, glaubt Troost. Doch dazu müssten die Bremer Grünen „ihren Einfluss auf die Bundesgrünen nutzen“.

Bei den Grünen will man den Vorwurf nicht gelten lassen: „Die grüne Fraktion hat Herrn Troosts Antrag deshalb nicht zugestimmt, weil sie kurz darauf einen eigenen Entwurf eingebracht hat – und dieser ging über die Forderungen der Linken hinaus“, so Grünen-Sprecher Makosch. In der Tat forderte die Grünen-Bundestagsfraktion im März 2006 neben dem Jedermannkonto auch einen verbesserten Pfändungsschutz.

„Wenn es nur um diese beiden Punkte gegangen wäre – warum hat man dann nicht einfach unsere Initiative mitgetragen und diese Änderung vorgeschlagen? Als ob wir gegen einen verbesserten Pfändungsschutz wären“, sagt dazu der Bremer Troost-Mitarbeiter Jörg Güthler. „Aber offensichtlich sollte hier mit dem Thema Parteipolitik gemacht werden. Hoffentlich wird das diesmal anders.“