: Traumjob: Flugbegleiterin
Die taz ist wieder mit an Bord: Sie begleitet den Flug von Bremen nach Amsterdam – mit täglich fünf Exemplaren
Aus Leserbriefen erschließen sich der taz viele Aufgaben: Den einen ist sie treuer Freund und täglicher Tröster, anderen ein Dorn im Auge. In der Rolle der Flugbegleiterin dagegen übt sich die taz sporadischer – und vor allem in Geduld.
Früher, vor der Wende, flog die taz täglich mit rund sechshundert Exemplaren auf deutschen Inlandflügen von AirFrance und EuroBerlin, später begleitete sie die Lufthansa. Zeitungen, die die Fluggesellschaften ihren Passagieren an Bord zur Verfügung stellen, bezeichnet der Fachjargon als Bordexemplare. Sie sind für die Mediadaten einer Zeitung wichtig, weil sie Auskunft über die Auflagenstruktur geben und damit die Anzeigenpreise für Werbekunden mitbestimmen.
Die Bordexemplare sind keine Geschenke an die jeweiligen Luftfahrtunternehmen, sondern werden als Verkäufe aufgeführt – mindestens 10 Prozent des Verkaufspreises müssen berechnet werden. Seit 2003 führt die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V. (IVW) die Bordexemplare getrennt von den regulären und sonstigen Verkäufen. Als staatlich unabhängige, nicht kommerzielle und neutrale Prüfinstitution versorgt die IVW die Medien- und Werbebranche sowie die interessierte Öffentlichkeit mit grundlegenden Daten für die Vermarktung von Medien als Werbeträger.
Als „leckere Kundschaft“ beschreibt Andreas Bull, Geschäftsführer der taz, das Bordpublikum. Denn Bordexemplare sind ein Weg, neue Leser zu gewinnen. Außerdem ermöglichen sie, die Auflagenhöhe zu beschönigen oder künstlich hochzutreiben. Die Financial Times Deutschland etwa führte rund 30 Prozent ihrer Auflage im letzten Quartal von 2007 als Bordexemplare auf. Auch die Welt gab 24 Prozent ihrer Auflage als Bordexemplare an. Die taz dagegen musste sich mit lapidaren 6,3 Prozent sonstigen Verkäufen begnügen – inklusive den fünf Bordexemplaren.
Denn seit 1991 klafft eine Lücke im Lebenslauf der taz als Flugbegleiterin. Über die Gründe, warum die taz in den letzten Jahren höchstens als blinder Passagier mitflog, kann nur spekuliert werden.
Auf der Anklagebank sitzt unter anderem eine Schlagzeile. Als Kommentar zur Beerdigung des ermordeten Treuhandchefs Detlev K. Rohwedder am 10. April 1991 titelte die taz tags darauf „Weizsäcker: Detlev, der Kampf geht weiter!“. Die Schlagzeile verstand sich als Referenz zu Rudi Dutschkes Ruf an Holger Meins’ Grab „Holger, der Kampf geht weiter!“ Trotz Bekennerschreiben eines RAF-Kommandos bleibt der Mord an Detlev K. Rohwedder bis heute ungeklärt. Zu seiner Beerdigung reisten mehr als 1.300 hochrangige Trauergäste aus aller Welt an. Viele in Privatjets, die den Luftraum über Berlin kurzfristig lahmlegten, etliche mit der Lufthansa. Dort las die zurückreisende Beerdigungsgesellschaft am nächsten Tag jene Schlagzeile, die zu erbosten Reklamationen und dem Ende der Freundschaft zwischen Lufthansa und der taz führte.
Die taz gab nicht auf, bewarb sich weiterhin als Flugbegleiterin und kassierte laufend Absagen. Einzig zum 26. Geburtstag erfüllte die Lufthansa der taz einen ihrer Geburtstagswünsche: 500 Exemplare flogen 2005 in einer Aprilwoche mit. Danach war eine Zusammenarbeit wieder „nicht in unserem Interesse“, wie der Konzern standhaft begründete. Bis Anfang 2007 eine Anfrage der niederländischen KLM eintraf, die um fünf Exemplare für den Flug 1750 auf ihrer Strecke von Bremen nach Amsterdam bat.
Fünf Exemplare, die 26-mal wöchentlich auf 283 Luftkilometern fünf Leser erfreuen. Oder verärgern? Weil 65 Flugminuten die durchschnittliche Lesezeit von zwanzig Minuten strapazieren oder die 0,099 Tonnen CO2 nach der taz-Lektüre das Gewissen belasten. GINA BUCHER