: Ein Puppenstuben-Leben hinter Bergen
In der Fußgängerzone prunkt neben Modeboutiquen und besseren Restaurants das Kunstmuseum Vaduz. Über dem Dorf thront trutzig das Fürstenschloss, und mittendrin wächst der fürstliche Wein. Innenansichten aus dem touristisch wenig bekannten Zwergstaat Liechtenstein
Unterkunft: In Malbun im Alpenhotel Vögeli www.alpenhotel.li In Vaduz im Hotel Residence, www.residence.li mit hervorragendem Restaurant. Wer auf Outdoor steht oder sich ein Zimmer teilen will, kann auch auf dem Campingplatz Mittagspitz (www.campingtriesen.li) oder im Youth Hostel Schaan/Vaduz (www.jugendherberge.ch/schaan) unterkommen. Ferien auf dem Biobetrieb Riethof in nächster Nähe zu Kühen und Schafen www.riethof.li.
In Liechtenstein wird mit Schweizer Franken gezahlt, die Einwohner sprechen Alemannisch. Damit es nie langweilig wird, bietet der Zwergenstaat ein vielfältiges Angebot an Freizeitaktivitäten: Im Sommer: Gleitschirmfliegen, Fischen, Bogenschießen, Schwimmen, Minigolf, Golf, Radfahren, Mountainbiken, Inlineskating, Nordicwalking, Tennis, Reiten, Westerntrekking, Klettern, Wandern. Auch an Falkenwanderungen (www.galina.li) kann man teilnehmen. Im Winter: Langlauf, Skifahren, Snowboarden, Airboard, Schneeschuhwanderung, Schlittenfahren, Winterwandern, Eislauf. Darüber hinaus gibt es viele kulturelle Veranstaltungen wie das Filmfest oder den Alpin-Golf-Cup Malbun. Weitere Infos: www.tourismus.li und www.liechtenstein.li
VON CHRISTINE WOLLOWSKI
Besucher reisen im dunklen Anzug an, in der Hand einen kleinen schwarzen Koffer voller Scheine, die sie unauffällig in einem der nummerierten Bankschließfächer unterbringen wollen. So weit das allgemein verbreitete Bild von Liechtenstein, das einfach nicht verblassen will. Obwohl der Zwergstaat schon 2002 von der Liste der Geldwäscheländer gestrichen wurde und jährlich mehr als eine halbe Million Euro in seine Imagewerbung investiert. Jetzt ist es wieder passiert: Liechtenstein ist in die Schlagzeilen geraten. Als Geldwäscheparadies. Dabei haben 2006 knapp 36.000 Deutsche, Österreicher und Schweizer in dem Alpenstaat einfach nur Urlaub gemacht – Tendenz steigend: Es muss ein Land hinter den Bankfassaden geben. Wer aufmerksam sucht, entdeckt im Hauptdorf Vaduz tatsächlich polierte Messingschilder mit den Namen von Treuhandanstalten. Sie weisen in Nebenstraßen, wo rauchgläserne und schieferverkleidete Fassaden die Empfangssäle der Finanzdienstleister vor neugierigen Blicken schützen.
In der Fußgängerzone prunkt neben Modeboutiquen und guten bis besseren Restaurants das im Jahr 2000 errichtete Kunstmuseum Vaduz. Es ist von Spendern finanziert und zeigt Ausstellungen von Beuys bis Picasso – häufig aus einheimischen Privatsammlungen. Der von den Schweizer Architekten Morger, Degelo und Kerez entworfene schwarze Kubus mit seinem minimalistischen Inneren wirkt ein bisschen fremd in dem 5.000-Einwohner-Ort, der so gar nicht nach Metropole aussieht: Über dem Dorf thront trutzig das Fürstenschloss, und mittendrin wächst der fürstliche Wein. Alles staubfrei und wie täglich frisch gesaugt. Eine Hauptstadt wie eine Puppenstube.
Wer nur schnell Geld abladen will, sieht nur diese. Wer mehr als einen Tag verbringen will, steigt in das „Postauto“ und lässt sich bergan schaukeln bis auf 1.599 Höhenmeter, in den Talkessel von Malbun. Dort ist es so einsam, dass im charmant-rustikalen Alpenhotel sogar Prinz Charles und Diana seinerzeit inkognito Urlaub machen konnten. Im Winter sollen Skifahrer alle vier Hotels füllen – im Sommer treffen sich nur vereinzelte Wanderer. Noch vor rund 50 Jahren blieben die Bergler im Talkessel von Malbun so gut wie immer unter sich: drei Familien, die an den Steilhängen ein paar Kühe weideten und ein bisschen Gemüse anbauten. Im Kramladen mussten sie manchmal mit Eiern zahlen: Viel Geld besaß niemand, manche hatten mehr Vieh, andere weniger, darin erschöpften sich die sozialen Unterschiede. Die zwischen den Geschlechtern waren höher. Das Frauenwahlrecht wurde in Liechtenstein erst 1984 eingeführt.
Heute werden die Rinder mit dem Transporter auf die Alm gefahren. Sie lugen neugierig durch die Ladeluke und staksen dann unsicher ins saftige Gras. Es riecht nach nasser Erde, nach Lärchen und dem Holz der Hütten. „Als ich klein war, gab es hier keine Spielkameraden für mich“, erklärt Norman Vögeli. Deswegen sitzt er heute mit seiner Steinadlerin auf der Seilbahn, die ratternd zum Höhenwanderweg hinauffährt: Als Kind lernte er, mit Vögeln zu spielen – davon gab es genug. Zu Schulzeiten flogen dem Lockenkopf oft drei Raben hinterher. Später ging er in die Welt, bis nach Neuseeland und Australien. Nach 13 Jahren kam er zurück und fand in Malbun ein Sportgeschäft, einen Bäcker und drei Familien mehr vor. Der Welterfahrene verliebte sich in eine ehemalige Schulfreundin und lebt seitdem mit ihr und seinen Vögeln: Habichte, Falken und die Steinadlerin, mit der er regelmäßig spazieren geht. Das Elternhaus hat er zu einem Hotel-Restaurant umgebaut, jeden Nachmittag zeigt er Fremden seine Greifvögel, und die weite Welt reizt ihn nicht mehr.
Das Land hat sich seit dem Aufschwung der 1950er-Jahre von einer hungernden Alpenrepublik zum kleinen Staat der Superlative entwickelt: Innerhalb Europas hat Liechtenstein die höchste Beschäftigungsrate, den höchsten Anteil an Millionären und die höchste Motorisierungsrate zu verzeichnen. Der Staatshaushalt produziert Überschüsse in dreistelliger Millionenhöhe, Einkommenssteuern betragen maximal 17 Prozent, und mehr als 100 Millionen Euro gingen letztes Jahr in die soziale Wohlfahrt. Das Glück, in Liechtenstein leben zu dürfen, feiern die Bürger jedes Jahr am 15. August beim „Fürstenfest“. Dann gibt es Freibier im Schloss, bis die Liechtensteiner in ungewohnter Ausgelassenheit schon mal „Hoi, Fürscht!“ zum Landesvater sagen. Regent Hans Adam repräsentiert sich eigentlich eher ungern: Auch die Stellungnahmen zum deutschen Steuerskandal hat er lieber seinem Stellvertreter, dem Erbprinzen Alois, überlassen.
Trudy liebt es gar nicht, wenn ihr Land auf Geldgeschäfte reduziert wird. Die berühmten Finanzdienstleister machen nur 15 Prozent aller Beschäftigten aus, beweist die neueste Statistik. Das Land ist nicht nur Steueroase, sondern auch eines der höchstindustrialisierten Länder der Welt – mit einem Ausländeranteil von rund 30 Prozent. Die Fremden waren für den wirtschaftlichen Aufschwung nötig, um die Schere zwischen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum zu schließen: Schon in den 70er-Jahren zeichnete sich ab, dass die einheimische Bevölkerung für die reichlich neu entstehenden Arbeitsplätze nicht ausreichen würde. Besonders viele neue Jobs gab es damals – das erstaunt wenig – im Wirtschaftszweig Finanzdienstleistungen. Derzeit kommen auf 34.951 Einwohner 29.533 Arbeitsplätze; fast die Hälfte aller Beschäftigten pendelt aus dem benachbarten Ausland in das Jobparadies.
Die meisten arbeiten in Industrie und Fertigung. Große graue Fabrikquader stehen vor allem im Unterland in der saftigen Rheinebene. Aus ihnen werden Bohrmaschinen, falsche Zähne und täglich rund eine halbe Million Fertigpizzen in die Welt geliefert. Im Industriegebiet des Landes blinkt statt der perfekten Sauberkeit der Hauptstadt schon mal die Leuchtreklame für einen Table-Dance-Club.
„Hier sind die Leute ein bisschen fortschrittlicher als in den Bergen.“ Sagt Trudy, die eigentlich so kritisch gar nicht reden sollte, schließlich vertritt sie ihr Ländle vor ausländischen Besuchern. Aber seit sie aus der Welt in ihre Puppenstube zurückgekehrt ist, scheint der Fremdenführerin aus Leidenschaft alles ein bisschen eng geworden. Der Liechtensteiner ist nämlich „pünktlich wie der Österreicher und charmant wie der Schweizer“. Das sagt nicht Trudy, sondern ein Sprichwort. Aber ihrer Tochter von einem Nicht-Liechtensteiner wurde tatsächlich bei ihrer Rückkehr als „Ausländerkind“ die Aufenthaltserlaubnis verweigert. Ansonsten sind ihre Landsleute ruhig, diskret und so normal, dass sie nicht einmal eine eigene Psychiatrie brauchen. Notfalls haben sie ihre Vereine – unter mehreren hundert auch einen zur Förderung emotionaler Gesundheit.
Trotzdem guckten anfangs manche schief auf Trudys Hut, orakelten andere hinter vorgehaltener Hand: „Du wirst dich schon noch anpassen, nicht mehr so offen sein.“ Aber Trudy trägt immer noch Hut und ist immer noch nicht verschlossen. Ihr Land liebt sie, obwohl sie beinahe alles darüber weiß. Wie der Rechtsanwalt hieß, der in den 1920er-Jahren als Erster die Idee hatte, mit reizvollen Steuergesetzen Briefkastenfirmen ins Land zu locken. Wie die weißen Ledermöbel in der Centrumsbank aussehen. Dass rund 900 Studenten an der heimischen Fakultät Architektur, Wirtschaftsinformatik, Entrepreneurship oder Finanzdienstleistungen studieren. Und dass die Liechtensteinerinnen sich das Wahlrecht 1984 mühsam erstreiten mussten. „Wenn die Frauen nicht bis nach Straßburg gegangen wären, dürften wir heute noch nicht wählen“, sagt Trudy lakonisch.
Natürlich weiß sie auch, wo es sich selbst an einem sonnigen Sonntag in Ruhe wandern lässt. Wo im Naaftal sogar die Kühe faul in den Gräsern zwischen goldgelben Dotterblumen und Hahnenfuß liegen und neben dem Weg ein Bergbach über Kiesel plätschert. Nur ein dickes Murmeltier rast in Panik vor dem Lärm der Schritte davon. Gelegentlich überholen auf dem Anstieg Mountainbikefahrer im allerkleinsten Gang. Oben an der Pfälzerhütte sitzen ein paar athletische Figuren in der Sonne, danach wird es wieder leer: Der Liechtensteiner posaunt die Reize seines Landes nicht so hinaus wie seine Alpennachbarn. Dabei lockt auf dem blumenübersäten Grat eine 360-Grad-Aussicht; schneebedeckte Gipfel, grüne Täler und blauer Himmel.
Vielleicht ist es manch einem Liechtensteiner gar nicht so unrecht, wenn die Leute meinen, ein schwarzer Koffer reiche für einen Besuch in seinem Land. So kann er weiter ungestört hinter den sieben Bergen sein Puppenstuben-Leben leben. Mehr Touristen? Braucht er gar nicht.