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Archiv-Artikel

„Da wurde niemand gezwungen“

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat Vorarbeiten für den „Generalplan Ost“ der Nazis entscheidend mitfinanziert. Warum Wissenschaftler sogar stolz auf ihre Zuarbeit waren, erklärt Willi Oberkrome. Er hat im DFG-Auftrag eine kritische Ausstellung kuratiert, die heute in Hamburg eröffnet wird

WILLI OBERKROME, 48, lehrt Neue Geschichte an der Freiburger Universität. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Raum- und Rassenordnung der Nationalsozialisten und Wissenschaftsgeschichte. Bis 2001 war er am Westfälischen Institut für Regionalgeschichte in Münster tätig.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Oberkrome, wieso erstellt die DFG eine solche Ausstellung erst jetzt?

Willi Oberkrome: Sicher nicht, weil man bewusst etwas verschweigen wollte. Der Grund für diese späte Reflexion liegt vielmehr darin, dass sich der Blick auf den Nationalsozialismus verändert hat: In den fünfziger Jahren glaubte man noch, es habe einerseits SA und die Totschläger in den KZ gegeben, andererseits eine verführte deutsche Gesellschaft. Inzwischen glauben wir, dass der Nationalsozialismus ein Projekt der deutschen Rechten insgesamt war. Große Bevölkerungskreise waren in das System involviert und haben bereitwillig mitgemacht. Der Fokus der Forschungen liegt deshalb nicht mehr auf der Verführung der Bevölkerung, sondern auf ihrer Beteiligung.

Wie schwer ist die Mitschuld der zuarbeitenden Forscher an den Verbrechen der Nazis?

Es ist schwer, hier klassische ethische Kategorien anzulegen. Man muss bedenken, dass die Menschen unter dem Eindruck der Niederlage des Ersten Weltkriegs standen. Mindestens zwei Drittel der Professoren waren in den 20er und 30er Jahren von der Idee beseelt, das System von Versailles – die Folgen des Ersten Weltkriegs also – zu überwinden. Außerdem dachten diese Forscher 1933/34 nicht in Kategorien von Völkermord, sondern von „Verdrängung“ oder „Entmischung“ ethnisch uneinheitlich besiedelter Gebiete im Osten Europas. Dass dies im Verlauf des Kriegs zu einem Genozid und Zivilisationsbruch ungeahnten Ausmaßes führen würde, wusste man 1934 noch nicht.

Was haben diese rassistischen Ideen mit der Revanche für Versailles zu tun?

Die Irritation war damals allgemein: Man konnte nicht verstehen, warum man den Ersten Weltkrieg verloren hatte und so wuchs die Idee, dass man eine Revanche-Politik brauchte. Die sollte sich auf einen starken Staat gründen. Dieser wiederum sollte sich der – wie man sagte – ursprünglichen Kräfte des deutschen Volkstums vergewissern. Letztere galten als verkümmert und sollten qua Rassenpolitik wieder geweckt werden.

Wie entstand die Idee eines „deutschen Volkstums“?

Schon im 19. Jahrhundert existierte die Idee, zurückgreifen zu müssen auf die eigene Authentizität – die ethnische und kulturelle. Diese Vorstellung resultiert aus der Verunsicherung, die zwischen 1880 und 1910 um sich griff. Damals erleben die europäischen Gesellschaften eine rasante Transformation: Es gab keine Kutschen mehr, sondern Tramwagen, es entstanden neue Architekturen und Freizeitangebote. Diese massiven Veränderungen – vor allem in den Städten – lösten unter vielen Intellektuellen den Wunsch nach Selbstvergewisserung aus. Es hieß: Wir müssen unsere Identität im Volk suchen. Das wiederum werden wir da finden, wo es noch unverfälscht ist: auf dem Land, wo diese neuzeitlichen Verformungen noch nicht so greifen. Hier, bei den Bauern, glaubte man Anknüpfungspunkte für die ethnische Erneuerung zu finden.

Apropos „Reinrassigkeit“: Wussten die den Nazis zuarbeitenden Forscher nicht, dass Inzucht das Genom eher schädigt als „veredelt“?

Warum sie das nicht berücksichtigten, verstehe ich bis heute nicht. Auch was sie sich bei ihrer „Aufnordung“ im Detail dachten, entzieht sich meiner Kenntnis. Da blieb – mit Ausnahme des Ziels, das „Artfremde“, das den „Volkskörper“ zu infizieren schien, zu vernichten – viel nebulös. Allerdings war die Genetik noch nicht sehr weit entwickelt. Insbesondere Deutschland blieb hinter den Erkenntnissen des Westens zurück.

Wie stellte man sich die „deutsche Identitätsbildung“ konkret vor?

Grundsätzlich glaubte man an die Wirkung der umweltlichen Prägung – weshalb man die Menschen aus den Elendsquartieren, aber auch aus den Konsumtempeln der Großstädte herausholen und wieder mit dem ländlichen Leben in Kontakt bringen wollte. Das heißt aber nicht, dass neuzeitliche Maschinen, Kinos oder Sportanlagen abgeschafft werden sollten.

Wie groß ist der Anteil nationalsozialistischer Planungen, den die DFG mitfinanziert hat?

Aufgrund der revanchistischen Stimmung nach Versailles hat die DFG bereits in der Weimarer Republik Arbeiten finanziert, die die Grenzrevision befördern sollten. Dazu zählte das „Wörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums“, das über die damaligen Reichsgrenzen hinausreichte. Unter den Nazis gab es einen Dynamisierungsschub. Den finanzierte die DFG mit.

Warum brauchten die Nazis die DFG überhaupt?

Das ist zunächst schwer verständlich. Eigentlich konnte es einem SS-Professor wie Konrad Meyer egal sein, ob die DFG ihn finanzierte. Er konnte vom Reichsministerium für Landwirtschaft jederzeit Geld bekommen. Aber die DFG war eine Art wissenschaftsinternes Gütesiegel.

Die Nazi-freundlichen Forscher waren auf solch ein Gütesiegel erpicht?

GENERALPLAN OST

Die „Germanisierung“ der „Ostgebiete“ – des annektierten Polen und des Westteils der eroberten Sowjetunion – sah der „Generalplan Ost“ vor. Der Berliner Agrarwissenschaftler Konrad Meyer, stellte das Konzept, mitfinanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), im Jahr 1942 fertig. Ihm zufolge sollten Millionen slawischer und jüdischer Bewohner dieser Gebiete binnen 25 Jahren vertrieben, als Zwangsarbeiter ausgebeutet oder ermordet werden.  TAZ

Ja, weil sie für sich in Anspruch nahmen, keine radikalen Nazis zu sein, sondern vor allem deutsche, radikalpatriotische Forscher, die auch als Wissenschaftler Akzeptanz erfahren wollten.

Wurde diese Instrumentalisierung DFG-intern diskutiert?

Nein, denn nach 1933 hatte man Linke, Sozialdemokraten, Juden und Liberale, die hätten kritisieren können, gewaltsam verdrängt.

Wirbt Ihre Ausstellung um Verständnis für den Zeitgeist?

Wir wollen zeigen, dass Wissenschaft, Politik, Weltanschauung und Planung nicht zu trennen waren. Das populäre Bild, dass ausschließlich fanatische Parteigänger Hitlers Begleitforschungen für den Völkermord betrieben hätten, ist falsch. Hieran hat eine Vielzahl deutscher Gelehrter mitgewirkt. Die hat man allerdings jahrzehntelang nicht im Kontext der nationalsozialistischen Verbrechen gesehen, weil man glaubte, Wissenschaft und nationalsozialistische Politik seien inkompatibel. Wir wollen zeigen, dass damals ganz normale Wissenschaftler mit Leuten kooperierten, die sich in der SS exponierten. Und zwar nicht, weil sie dazu gezwungen wurden, sondern weil sie es für ihre patriotische Pflicht hielten.

Heißt das, dass die den Nazis zuarbeitenden Forscher von vornherein antislawisch und antisemitisch waren?

Bestimmt gab es eine ausgeprägte kulturelle Arroganz gegenüber den slawischen Völkern. Sicher existierte bei den meisten Forschern auch ein wenigstens latenter Antisemitismus. Das war in den Zwanzigern aber noch kein Vernichtungs-Antisemitismus. Die Disposition für solches Gedankengut, das ab 1933 immer radikalere Formen annahm, war aber bei vielen Professoren da.

Die Ausstellung wird heute um 18 Uhr in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek eröffnet und ist bis 3. 4. zu sehen.