Besorgte Sieger, entspannte Verlierer

In der Handball-Champion League besiegt der HSV Hamburg die SG Flensburg-Handewitt mit 32 : 30. Damit wahren die Hanseaten die Chance auf den Einzug ins Halbfinale, während die Flensburger die Königsklasse abhaken können

Das muss wahre Liebe sein: Rund 600 Anhänger der SG Flensburg-Handewitt waren mit dem Sonderzug angereist und marschierten grölend durch den Volkspark, obwohl schon vor dem Spiel klar war, dass für Flensburg so gut wie nichts mehr in der Handball Champions League zu holen gibt. Mittendrin weigerte sich Flensburgs Manager Fynn Holpert, der Realität ins Auge zu sehen. „Wir glauben immer noch an den Einzug ins Halbfinale“, beschwor er die minimale Restchance.

In der Halle mussten die Flensburger Fans dann registrieren, dass das Hamburger Publikum das einstige Retortenbaby HSV Handball inzwischen ins Herz geschlossen hat. Über 12.000 Zuschauer machten aus der Color Line Arena zwar noch keine „Hölle“, sorgten aber für eine angemessen begeisterte Begleitung dieses europäischen Nordderbys.

Schon beim Einlaufen der Mannschaften wurde klar, dass für den HSV nicht nur die Chance auf das Halbfinale auf dem Spiel stand, sondern auch die Ehrenrettung nach der peinlichen 28 : 39-Niederlage im jüngsten Bundesliga-Duell der beiden Nordrivalen vor zehn Tagen. Mit grimmigen Blicken und atavistischen Gesten brachten sich die HSV-Spieler in eine Angriffslust, die sie in der ersten Halbzeit auch ohne den verletzten Spielmacher Guillaume Gille zu einer zwischenzeitlichen Acht-Tore-Führung umsetzten.

„Da haben wir phasenweise geilen Handball gespielt, oder?“, sagte HSV-Trainer Martin Schwalb. Die Flensburger schonten dagegen ihren angeschlagenen Spielmacher Ljubomir Vranjes, der laut Trainer Kent-Harry Anderson bei einem wirklich entscheidenden Spiel fit gemacht worden wäre.

Da sich spielerische Klasse aber nicht auf Dauer verleugnen lässt, machten die Flensburger selbst dieses Spiel noch einmal spannend. Dabei warfen die Außen Lars Christiansen und Torge Johannsen mit kunstvollen Drehern die schöneren Tore. Der HSV verteidigte die Führung mit den Rückraumschützen Pascal Hens und Kyung-Shin Yoon eher auf die trockene Art. Wie so oft in den letzten Wochen versiebten die Flensburger aber in den entscheidenden Situationen die dicksten Chancen und erfüllten die auf dem Anmarsch geäußerte Prophezeiung ihres Managers: „Uns fehlt in diesen Situationen ein Killer.“

Verkehrte Welt nach dem Spiel: Entspannte Flensburger können sich auf die Meisterschaft konzentrieren, nachdem sie letztes Jahr beim Tanz auf drei Hochzeiten leer ausgingen. Und besorgte Hamburger beklagen mit Torsten Jansen und Matthias Flor zwei frisch verletzte Spieler, die voraussichtlich im entscheidenden Spiel bei San Antonio fehlen werden.

Sorgenvoll werden die Hamburger auch am Sonntag nach Flensburg gucken. Falls Osiguranje Zagreb dann noch Tabellenführer in der Gruppe 3 ist (die Partie San Antonio-Zagreb war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) sind sie auf die Schützenhilfe der Flensburger in deren bedeutungslosem Spiel gegen die Kroaten angewiesen. Wie am Rande des Spiels bekannt wurde, wechselt nach Marcin Liejewski, der die Flensburger bereits am Saisonende verlässt, nun auch Blaženko Lacković zur Saison 2009 / 2010 von der Förde an die Elbe. Es ist fraglich, ob dieser fortgesetzte „Spielerklau“ für die vom HSV benötigte Nord-Solidarität besonders förderlich ist.

Ralf Lorenzen