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Archiv-Artikel

„Stahlwand des Fanatismus“

Hans-Peter Raddatz und Matthias Küntzel wollen in ihren neuen Büchern den Antisemitismus in der islamischen Welt erklären. Dabei denunzieren sie jedoch undifferenziert die Muslime

Antisemitische Äußerungen und Propaganda sind in islamisch geprägten Gesellschaften leider kein Randphänomen. Schauerliches Anschauungsmaterial für diesen Sachverhalt lieferte zuletzt die mit Antisemitismen übelster Art angereicherte iranische Serienproduktion „Sarahs blaue Augen“. Die sechsteilige Soap zeigt israelische Soldaten als organraubende jüdische Verbrecher, die palästinensischen Kindern im Westjordanland nachstellen, um ihnen bei lebendigem Leibe die Augen herausoperieren zu lassen. Die Serie wird mit Erfolg auch in einer türkisch synchronisierten Fassung in Deutschland vertrieben.

Da derlei Propaganda kein Einzelfall ist, gibt es bereits seit einigen Jahren eine internationale Debatte über den sogenannten islamischen oder islamisierten Antisemitismus. Gestritten wird vor allem darüber, woher der Antisemitismus kommt und in welchem Ausmaß er sich aus der islamischen Tradition speist. Es geht auch immer um die Frage, welche Rolle der Antisemitismus im Palästinakonflikt spielt.

Zu diesen Fragen sind unlängst zwei Bücher von deutschsprachigen Autoren erschienen, die das Phänomen grundlegend erklären wollen. Der erste Band stammt aus der Feder des streitbaren Orientalisten Hans-Peter Raddatz. In seinem neuesten Buch, „Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus“, widmet sich der Autor drei Fragen: Wie hat sich der Antisemitismus im Islam herausgebildet, was ist europäischer Antisemitismus, und wie verbindet er sich mit der islamischen Judenfeindschaft – und welche Folgen hat dies alles für Israel und Europa?

Die Antworten hierzu liefert Raddatz in fünf ausführlichen Kapiteln, die vom alten Israel bis in die Gegenwart hineinreichen. Bereits die Zwischenüberschriften wie „VAN – Vereinte Antisemitische Nationen“ oder „Dialog – der kollektive Betrug“ zeigen, dass der Autor es an Objektivität vermissen lässt. Raddatz geht es nicht um sachliche Analyse, vielmehr ist über weite Strecken Islam-Bashing und Kulturkampf angesagt.

Überaus deutlich wird dies im Kapitel „Juden und Islam“. Bereits in den einleitenden Worten vermittelt Raddatz unverblümt seine Sicht des Islam und der Muslime: „Wie noch zu zeigen ist, sind Djihad – Kampf gegen den Nichtislam – und Dhimma – die Unterdrückung des Juden- und Christentums – die unverzichtbaren Lebensbedingungen, die Sakramente ihres Glaubens.“ Genau dieser Vorwurf bildet den Leitfaden für die nachfolgenden Ausführungen, in denen der Autor nicht müde wird, dem Islam allerlei Schandtaten anzulasten. Was hierbei nicht ins Bild passt, wird einfach verschwiegen.

Besonders dreist verfährt der Autor mit dem international bekannten Orientalisten Bernard Lewis, der bereits in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts bahnbrechende Studien zur islamisch-jüdischen Tradition vorgelegt hat. Da Lewis in seinem Standardwerk „Die Juden in der islamischen Welt“ ein überwiegend positives Bild des muslimisch-jüdischen Zusammenlebens in den traditionellen islamischen Gesellschaften zeichnet, überzieht ihn Raddatz mit Schmähkritik und bösartigen Anwürfen, in dem er Lewis als „Quasimam“ und „Spitzenkraft“ unter „Dialogbetrügern“ denunziert.

Islamkritisch und gleichfalls provokativ ist auch das Buch des Hamburger Politikwissenschaftlers Matthias Küntzel. Der Autor will in seinem neuen Buch, „Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik“, ebenfalls die Entstehungsgeschichte des „Islamischen Antisemitismus“ beleuchten und darüber hinaus die Zusammenhänge zwischen „islamischem Antisemitismus“, Holocaustleugnung und Nahostkonflikt erläutern. Hierzu hat der Autor insgesamt zehn seiner Reden und Aufsätze aus den Jahren 2002 bis 2007 zusammengestellt und mit einer ausführlichen Einleitung und einem Epilog versehen.

Anders als Raddatz geht Küntzel in seinen teils durchaus lesenswerten Aufsätzen nicht davon aus, dass die Juden aus theologischen Gründen schon immer die erbitterten Feinde des Islam waren. Das zentrale Element des „islamischen Antisemitismus“ – die Weltverschwörungstheorie – ist jüngeren Datums und wurde erst vor achtzig Jahren von Europa in die islamischen Gesellschaften exportiert.

Wenn Küntzel den islamischen Antisemitismus anprangert, verfällt er leider oftmals in einen alarmistischen Ton. So spricht er bereits in der Einleitung von einer „Stahlwand des Fanatismus“. Befremdlich wirken auch manche terminologischen Fehlgriffe. Den Islamisten und der iranischen Führung unterstellt Küntzel mehrfach einen „eliminatorischen Antisemitismus“ und erweckt hierbei den Eindruck, als ob Eichmann und Hitler in Teheran auferstanden seien.

Übertrieben wirkt schließlich auch der im Epilog erhobene Vorwurf, in Deutschland diskutiere man den islamischen Antisemitismus nicht, „weil man eine Sichtweise, die hauptsächlich Juden (heute: Israel) für die Spannungen der Weltpolitik verantwortlich macht, teilt“. Offenbar ist dem Autor hier einiges entgangen. Seit dem Jahr 2006 sind in Deutschland zahlreiche Fachartikel und mindestens vier Bücher erschienen, die das Phänomen umfassend analysieren und diskutieren. MICHAEL KIEFER

Hans-Peter Raddatz: „Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus“. wjs Verlag, Berlin 2007, 352 S., 24,90 Euro Matthias Küntzel: „Islamischer Antisemitismus und deutsche Politik. ‚Die Juden werden brennen, wir werden auf ihren Gräbern tanzen …‘ “. Lit Verlag, Münster 2008, 184 S., 19,90 Euro