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Archiv-Artikel

Verlässlich wie der Blick in die Glaskugel

Mit „Scoring“-Verfahren überprüfen Banken, Versicherungen oder Telefongesellschaften die Kreditwürdigkeit. Die Kriterien: das Alter, der Familienstand, Adresse oder Beruf. Datenschützer und Verbraucherschützer schlagen Alarm

Willkür und Intransparenz bei der Kreditvergabe wirft der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) der deutschen Kreditwirtschaft vor. Anlass sind weit verbreitete „Scoring“-Verfahren, bei denen die Kreditwürdigkeit und Zinskonditionen aufgrund pauschaler Kriterien wie Wohnadresse, Alter, Familienstand oder Beruf errechnet werden. In einer Studie weist der VZBV nach, dass die Verfahren nicht halten, was sie versprechen, intransparent sind und Anbieter gegen Gesetze verstoßen.

Der VZBV fordert eine Begrenzung des Einsatzes von Scoring-Verfahren und klare Transparenzregeln zur Überprüfbarkeit der Verfahren.

„Verbraucher werden beim Scoring in Schubladen gesteckt, ohne dass sie erfahren, wie und warum sie dort gelandet sind“, kritisiert Vorstand Gerd Billen. Den Kunden wird es nicht ermöglicht zu prüfen, ob die herangezogenen Daten korrekt sind und aufgrund welcher Kriterien ihre Bonität positiv oder negativ eingeschätzt wird. Scorewerte würden die Zahlungsfähigkeit der Verbraucher falsch einschätzen und Verbraucher mit teilweise hohen Kreditkosten belasten. Billen: „Ein Blick in die Glaskugel würde vermutlich ein ähnliches Ergebnis liefern.“

Während Auskunfteien mit Daten viel Geld verdienen und die Banken sich auf „zuverlässige Verfahren zum Vorteil der Kunden“ berufen, wissen 85 Prozent der Verbraucher nicht einmal, was sich hinter dem Begriff Scoring verbirgt. Lediglich 0,8 Prozent sei bewusst, dass Scoring direkte Auswirkungen auf die Kreditkonditionen hat (Höhe, Laufzeit, Zins). Scoring kann aber auch zur Folge haben, dass Verbraucher gar keinen Vertrag erhalten. Der Einsatz von Scoring-Verfahren zur Preisbestimmung macht Werbeversprechen mit Bestpreisen (zum Beispiel „ab x Prozent“) zu Lockvogelangeboten, kritisieren die Verbraucherschützer.

Auch in vielen anderen Bereichen gehört eine Bonitätsprüfung durch Scoring längst zum Alltag: Bei Versicherungen oder Telekommunikationsunternehmen, im Versandhandel oder Internet entscheidet Statistik sekundenschnell über das Schicksal der Kunden.

Kritik kommt auch vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar. Der Datenschützer befürchtet, dass Scoring in seiner Konsequenz zu einer neuen Form der Diskriminierung werden kann. Scoring-Verfahren könnten individuelle Einzelfallentscheidungen nicht wirksam ersetzen.

Aus Sicht des VZBV ist die Politik gefordert, damit sich die Scoring-Praxis nicht weiter unkontrolliert ausdehnt. Der Diskussionsentwurf des Bundesinnenministeriums zur Reform des Datenschutzes sei ein Schritt in die richtige Richtung. Um Willkür, Diskriminierung und einer Verschleierung von Preisen entgegenzuwirken, muss aus Sicht der Verbraucherorganisation der Einsatz von Scoring-Verfahren auf Ausfallrisiken begrenzt und branchenspezifisch geregelt werden.

Außerdem sollten Scoring-Verfahren von einer neutralen Stelle offiziell zugelassen und regelmäßig auf ihre Plausibilität hin geprüft werden.

Schließlich müssten Anbieter Verbraucher über den Einsatz von Scoring-Verfahren, die verwendeten Daten und deren Gewichtung informieren.

Werbung mit Bestpreisen (beispielsweise „ab x Prozent“) soll nur dann zulässig sein, wenn wenigstens zwei Drittel der Verbraucher diesen Bestpreis auch tatsächlich erhalten, fordert der Verband.

Infos im Internet unter www.vzbv.de