berliner szenen Ein Kilo Müsli

Human Flipperkugel

Wir saßen auf dem Sofa im kleinen Nebenraum des „West Germany“. Es ging um Obsessionen, das Unheimliche, den Einbruch des Realen im Obszönen und solche Sachen. Meike Jansen, die die Ausstellung kuratiert hatte, berichtete von den Dingen, die „the organism whom people called Giulio Nesi“ zuvor gemacht hatte. Nur mit einem Kilo Müsli und ohne Russischkenntnisse sei der Künstler einen Monat durch Sibirien gewandert. Völlig entkräftet habe der 32-Jährige dort auf dem Boden gelegen, sich von Gras und vorbeikommenden Ameisen ernährt. Bei seiner Performance wollte er sich nun als human Flipperkugel inszenieren.

Die Musik klang nach Electro und war mit italienischen Parolen durchsetzt. Der Künstler zog seine Sachen aus und versuchte sich, nur mit einem T-Shirt bekleidet, in Ekstase zu tanzen. Auch wälzte er sich auf dem Boden. Verschreckt wichen die Zuschauer vor ihm zurück. Er tanzte ihnen hinterher, zu Stephane Bauer hin und berührte den Widerstrebenden zwischen den Beinen. Manchmal ist es wirklich nicht einfach, Leiter des Kunstraums Bethanien zu sein. Verschreckt flüchteten wir, wie die meisten anderen Zuschauer. Meike Jansen versuchte, die Leute wieder zurückzutreiben.

Als alles so weit vorbei war, schimpfte eine Französin mit dem Künstler, von dem sie sich zu sehr bedrängt gefühlt hatte. Den Rest des Abends schwieg Giulio Nesi entschlossen. Wir redeten auf ihn ein, versuchten zu erklären, aus welchen Gründen die Performance nicht und in dieser Dysfunktion eben eigentlich ja doch funktioniert hatte. Enttäuscht hatte er dann am Sopranos-Flipper gestanden, mit zwei Bällen das beste Ergebnis des Abends geholt und die dritte Kugel nicht mehr gespielt. DETLEF KUHLBRODT