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Archiv-Artikel

Die Sklavin

Sie möchte nicht an ihn denken, sie fürchtet, dass ihr dann wieder die Luft wegbleibt Der Diplomat kennt sich aus mit der Unterwerfung: Kontrolle, Erniedrigung, Deprivation

AUS BERLIN WALTRAUD SCHWAB

Sklavin und Herr. Gefangene und Tyrann. Frau Hasniati* und der Diplomat. Drei Verhältnisse, eine Geschichte. Genug Stoff für einen Film, der alles hat, was großes Kino braucht: Verrat, Gewalt, Unterwerfung, sogar ein Happy End. In der Geschichte geht es um eine Indonesierin, Frau Hasniati, die von einem jemenitischen Diplomaten viereinhalb Jahre gefangen gehalten wird. Zuerst in Ägypten, dann in Berlin. Der Stoff ist da. Man muss Hasniati nur fragen.

Allein, Hasniati will den Diplomaten vergessen. „Wozu soll ich noch an ihn denken?“, fragt sie. Aber wird sie nicht ohnehin immer wieder an ihn erinnert – wenn sie Reis isst, wenn sie hustet, wenn sie am Potsdamer Platz in Berlin steht? Sie zuckt mit den Schultern. Sie möchte nicht an ihn denken, sie fürchtet, dass ihr dann wieder die Luft wegbleibt, wo sie jetzt doch frei atmen kann. Tränen steigen ihr in die Augen. sie wendet sich ab. Mit ihrem runden Gesicht, das von schwarzen Haaren eingerahmt ist, mit den dunklen Augen, der bronzefarbenen Haut könnte die Indonesierin auch aus Nordafrika oder Südamerika stammen.

Hasniati sitzt mit einer Dolmetscherin im Büro von Ban Ying. Der Berliner Verein unterstützt Frauen, die in Gewaltverhältnisse geraten sind wie die Dreißigjährige. „Thinking of getting married“ steht auf einem Plakat, das an der Wand hinter Hasniatis Stuhl hängt. Darauf ist eine asiatische Frau im Brautkleid abgebildet, darunter eine Warnung: „Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sind Vergehen gegen die Menschlichkeit“. Dass das so ist, hat Hasniati gespürt. „Ich wusste immer, dass er mir Unrecht tut.“ Wie sie aus der Wohnung des Jemeniten flüchten kann, wusste sie nicht. Er hatte sie eingesperrt.

Indonesier haben nur einen Namen. Er ist Vor- und Nachname zugleich. Auch auf der Insel Flores ist das so. Dort lebte Hasniati in einem Dorf am Meer, ihr Haus stand auf Pfählen wie die der 200 Nachbarn auch. Auf Flores ist der Tourismus noch nicht so groß wie auf Bali, auf Java, trotzdem hat die Welt die Insel gestreift. Hasniati kannte Leute, die in Dubai, in Khatar, in Bahrein als Dienerinnen, als Hausangestellte, als Knechte arbeiteten. Agenturen vermitteln. Von dem Geld, das sie nach Hause schicken, werden Mofas gekauft, Häuser repariert, Schulgelder bezahlt.

Auch Hasniati geht. Im Dezember 2002 landet sie in Kairo und wird zu einem jemenitischen Diplomaten gebracht. Er ist Witwer. Hasniati, mit ihren damals 25 Jahren selbst schon Witwe, weiß nicht, ob das seinen Charakter erklärt. „Viel später erst habe ich verstanden: Er ist ein schlechter Mensch.“

Auf der Fahrt vom Flughafen in Kairo sitzt Anisia, eine Indonesierin von der Rekrutierungsagentur, mit im Auto. Sie schwärmt von der Güte des Diplomaten. Einzig zu ihr wird Hasniati ab jetzt noch Kontakt haben, aber Anisia will nicht hören, was Hasniati erzählt. Sagt Hasniati, wie der Diplomat sie behandelt, antwortet Anisia, er sei ein guter Mensch. Sagt sie, dass sie nach Hause will, antwortet Anisia „Bleib!“. Fragt Hasniati sie nach ihrem Geld, meint Anisia, das sei nach Flores gegangen.

Mit ihrer Familie dort darf Hasniati nicht telefonieren. Der Vater, die Geschwister glauben bald, sie sei tot. Denn Briefe zu schreiben verbietet ihr der Jemenite auch. Er errichtet eine Haremsmauer um die Frau. Sie hat ihm zu dienen. Bald nach ihrer Ankunft schlägt er zu.

Die Indonesierin, die in Vorbereitung auf ihren Job etwas Arabisch gelernt hat, wird vom Diplomaten herumkommandiert. Mach dies! Mach das! Das ist nicht sauber! Das ist falsch! „Eigentlich war immer alles falsch“, sagt Hasniati. Das Wort „eigentlich“ fällt oft. Es klingt wie sepetulnja. Das Indonesische sei eine sehr vorsichtige Sprache, erklärt die Dolmetscherin. Man vermeidet es, Personen direkt zu benennen, man spricht im Passiv. „Ich wurde eingesperrt.“ „Ich bekam eigentlich nur rationiertes Essen.“ „Ich wurde nicht bezahlt.“ „Ich durfte nicht fernsehen, auch nicht aus dem Fenster schauen.“ „Ich wurde geschlagen.“ Von wem? Das bleibt ungesagt.

Auch in Deutschland nennt man keine Namen von Leuten, die nicht verurteilt sind. Da trifft sich das Zurückhaltende der indonesische Sprache mit dem hiesigen Kodex. Weil der Diplomat Immunität genießt, gibt es gegen ihn aber noch nicht einmal Kläger. Nur so viel: Der Mann, der Hasniati gefangen hielt, ist bis Ende Januar 2008 in Berlin Kulturattaché eines Landes, in dem 75 Prozent der Frauen Analphabetinnen sind, die Beschneidung von Frauen weit verbreitet ist und die Scharia gilt. Bis vor kurzem war sein Foto auf der Website der Botschaft. Er hat schwarze Haare, schwarze Augen, einen schwarzen Schnurrbart. Um seinen Mund liegt ein bitterer Zug.

Irgendwann ist das negative Abhängigkeitsverhältnis zwischen Hasniati und dem Diplomaten perfekt. Mit leiser Stimme erzählt sie, wie sie, sobald sie den Schlüssel im Schloss hört, zu einem Nichts wird. „Ich hatte Angst“, sagt sie. Kaum in der Wohnung, ruft er sie. Ist sie zu langsam, starrt er sie an, scharrt mit den Füßen. Sie weiß nie, was kommt.

Es klingt, als behandelte er sie wie ein Haustier, wie einen Hund. „Ja, das kann man so sagen“, nickt sie. Passt ihm etwas nicht, packt er sie am Kragen, verteilt Kopfnüsse. Findet er Staub, schmiert er ihn ihr ins Gesicht. Meint er, etwas sei dreckig, wirft er es ihr vor die Füße. Zerbricht es, ist sie schuld. Hasniati streicht mit dem Finger über den Tisch, demonstriert am Gesicht der Dolmetscherin, wie er den Staub an ihr abwischte. Sie lacht leise. Nur wenn er weg ist, traut sie sich ans Fenster.

Im November 2004 nimmt der Diplomat sie gegen ihren Willen mit nach Berlin. Er zieht in ein Loft am Potsdamer Platz. Sie bleibt eingesperrt. Konnte sie nicht um Hilfe rufen? „Wie“, fragt sie. Deutsch kann sie nicht, Englisch auch nicht. „Die Leute schauen doch nicht nach oben, wenn sie durch die Straßen gehen“, sagt sie. Vom Fenster aus kann sie nur „IMAX“ lesen, so heißt ein Kino am Platz. Zweieinhalb Jahre lang. Zeit, die ihr fehlt. IMAX-Zeit.

Im April 2007 endet ihre Gefangenschaft. Hasniati wird in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert. Sie hat Tuberkulose und wiegt 35 Kilo. Einssechzig ist sie groß. Die Ärzte werden misstrauisch, täglich taucht ein Araber auf, der die Herausgabe der schwerkranken, unterernährten Frau fordert. Das Krankenhaus wendet sich an die indonesische Botschaft und an Ban Ying. Als die Dolmetscherin des Vereins an ihrem Bett steht und ihr anbietet, sie da rauszuholen, hält Hasniati sie im Fieber für Anisia, die Frau von der Agentur.

Ban Ying setzt sich für Hasniati ein. Dass sie die Wahrheit sagt, ist unstrittig. Über die Härtefallkommission erhält sie eine Aufenthaltserlaubnis. Auch das Auswärtige Amt schaltet sich ein. Diplomaten, die Hausangestellte mitbringen, verpflichten sich, diese mit 750 Euro im Monat zu entlohnen. Der Diplomat schuldet Hasniati über 20.000 Euro allein für die Zeit, die er sie in Berlin versklavte. Nur dafür kann er belangt werden. Vertretern des Auswärtigen Amtes sagt er, er hätte bezahlt. Man bittet um Belege. Sie kommen nicht.

Hätte der Diplomat gezahlt, niemand hätte von ihrer Geschichte erfahren. Weil kein Geld kam, wandten sich Hasniati und Ban Ying im Januar 2008 an die Öffentlichkeit. Eingehüllt in eine dicke Jacke und mit pfirsichfarbenem Wollschal um den Hals berichtet sie von ihrer Gefangenschaft. „Morgens bekam ich eine Scheibe Brot, ein Glas Tee. Abends Reis, eine Tomate und Chilischoten.“ Schwer zu glauben, dass sie nie den Kühlschrank aufmachte. „Sein Verbot hat gereicht“, sagt sie. Ohnehin zählte er das Essen ab. Sogar die Zuckerstückchen für den Tee. „Ich bekam vier.“

Und beim Kochen? Hat sie nie den Finger in den Topf gesteckt? „Nein.“ In der Tür war ein Spiegel, so überschaute er vom Wohnzimmer aus auch die Küche. Der Diplomat kennt sich aus mit dem Handwerkszeug der Unterwerfung: Kontrolle, Erniedrigung, Deprivation. Dazu gehört, dass sie keine Decke bekam, um sich nachts zuzudecken. Dazu gehört auch, dass sie nicht weglief, wenn er am Wochenende mit ihr nach Hannover fuhr. Dort musste sie seinem Sohn die Wohnung putzen. Gewehrt hat sie sich nicht. „Nur manchmal nannte ich ihn in meiner Heimatsprache, die auf Flores gesprochen wird, ‚Satan‘.“

Man muss zurück zum Anfang, um Hasniati zu verstehen. Man muss andere Fragen stellen. Hat sie Kinder? Hasniati, versteht, nickt. Wie viele? „Zwei“, antwortet sie. Auf Deutsch. Die fremde Sprache legt sich zwischen ihre Gefühle und das, was sie sagt. Wie alt sind sie? „Die Tochter ist sieben, der Junge neun, glaube ich.“ Wie ein Echo hängt dieses „glaube ich“ in der Luft. „Glaube ich“ setzt eine Grenze. Bis hierher fragen, nicht weiter. Aber man muss weiterfragen. Hat sie Schuldgefühle ihren Kindern gegenüber? „Ja, weil ich sie nicht schützen konnte.“ Wo sind die Kinder jetzt? „Bei der Schwester des verstorbenen Mannes.“ Zu der sagen sie Mutter. Wie war das, nachdem ihr Mann tot war? „Man hat sie mir weggenommen.“

Kinder gehören auf Flores zur Vatersfamilie. Das ist Adat, traditionelles Recht. Auch dass sich eine Frau den Mann nicht selbst aussucht. Nach dem Tod ihres Mannes werden Hasniatis Kinder von dessen Verwandten entführt. Ihr Vater versucht noch, sie zurückzuholen, wird aber weggejagt. In seiner Enttäuschung schlägt er Hasniati, er gibt ihr die Schuld. Ist eine Frau ohne Mann auf Flores nichts wert? „Das kann man eigentlich so sagen“, antwortet sie. Sepetulnja. Das ist es. Der Diplomat hatte leichtes Spiel.

Jetzt lassen sich auch andere Fragen stellen: Ob es sexuelle Übergriffe gab. Sie schüttelt den Kopf. Wie sie die Jahreszeiten wahrgenommen hat. „Ich merkte, dass es in Berlin kalt war.“ Sie hatte ja nur die Kleidung, die sie mitgebracht hatte. Nicht einmal Unterwäsche kaufte er ihr. „Sie kriegt welche, wenn sie nach Indonesien fährt“, sagte sein Sohn.

Hasniati will weg. Aber wie? „Ich konnte nicht mehr denken.“ Da läuft sie anders weg. Sie wird krank. Im Winter 2006 beginnt sie zu husten. Vier Monate später kann sie nicht mehr aufstehen, wenn er sie ruft. Sie liegt mit Schüttelfrost auf dem Bett, zugedeckt mit ihrem Sarong und einer Jacke. Eines Nachts kommt er ins Zimmer und sagt: „Okay, ich kauf eine Decke.“ Sogar Brot und Tee will er ihr geben, aber sie kann ja schon fast nicht mehr atmen. Ein paar Tage später bringt er sie ins Krankenhaus.

Das Auswärtige Amt hat mittlerweile auch den Druck auf die jemenitische Botschaft erhöht. Schließlich verspricht der Botschafter, die Schulden zu bezahlen, falls der Peiniger es nicht tut. Inzwischen hat Hasniati das Geld. Sie will in Deutschland bleiben. Will arbeiten. Lernen. Der Deutschkurs gefällt ihr. Sie fühlt sich jetzt frei. Und ihre Kinder? Sie antwortet nicht. Dann doch: „Irgendwann ist vielleicht alles wieder ganz anders“, sagt sie. Sie schaut aus dem Fenster.

* Name geändert