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Archiv-Artikel

„Die Beats sind Amphetamine“

Von MAP

HANS-CHRISTIAN DANY, geboren 1966 in Hamburg, wirkt als Künstler, Autor, Kurator und Berater. Er lebt in Hamburg.

taz: Herr Dany, nach der Lektüre Ihres Buches hat man das Gefühl, ohne Speed im Leben etwas verpasst zu haben.

Hans-Christian Dany: Ich finde, wenn man etwas darstellen möchte, muss man das ganzen Spektrum darstellen und dazu gehört natürlich auch der Reiz des verhandelten Gegenstandes.

Seit wann nutzt man Amphetamine?

Entdeckt werden sie Ende des 19. Jahrhunderts. In den 30er Jahren folgt dann die medizinische Verwendung, gegen Asthma oder Depressionen etwa – und damit beginnt auch die Zweckentfremdung: Man nimmt die doppelte Menge, um fünf Tage am Stück wach zu bleiben und Halluzinationen zu bekommen.

Sie beschreiben, wie sich Speed als roter Faden durch die Popkultur zieht.

Die treibenden Beats, von der Beatles bis zum Techno, das sind die in Musik umgesetzten Amphetamine. Damit nimmt die Popmusik aber auch den Rhythmus des Maschinenzeitalters auf. Der amphetamingesättigte Motown etwa ist der Soundtrack der Vollbeschäftigung.

Das klingt nach Adornos Verlängerung der Arbeit in die Freizeit.

Ich sehe jedenfalls eine Parallele zwischen Amphetamin und Maschine. Das fängt damit an, dass die Droge dieselbe Bezeichnung bekommt wie das, was die Maschine allgemein und das Auto im Besondern erreicht: Speed. 1908 beginnen Wissenschaftler, das Gehirn als ein durch chemische Mechanismen gesteuertes System zu begreifen, in das gezielt eingegriffen werden kann, zeitgleich mit der ersten Fließbandproduktion bei Ford. Die massenhaften Verbreitung erfolgt bei Droge und Auto in den 30er Jahren.

Und heute? Jetzt lesen wir ja immer nur über Hanfpflanzen- und Kokainrazzien in den Polizeiberichten.

In den USA ist Chrystal, ein sehr leistungsstarkes Amphetamin, die vielleicht populärste Droge. Häufig wird Amphetamingebrauch aber nicht wahrgenommen, weil er sich an den Rändern der Gesellschaft abspielt.

Eine Unterschichten- oder eine Künstlerdroge?

Beides. Die Kunst, die ich beschreibe, kommt ja aus dem Arbeitermilieu und bleibt davon gezeichnet. Nehmen wir Warhol: Der geht unter Amphetamineinfluss von Handarbeit zum Siebdruck in seiner Factory über und schließlich zum Film, wo man die Bilder noch viel schneller wiederholen kann.

Geht es dabei sowohl um Geschwindigkeit als auch um Wiederholung?

Ja, in großer Dosis führt der Stoff zur Faszination am Repetitiven. Warhols „Sleep“ zum Beispiel besteht aus einer einzigen 20- minütigen Sequenz, die mehrmals hintereinandergesetzt einen fünfeinhalb stündigen Film ergibt. Dieses Loop-Prinzip hat unglaublich weit gewirkt, etwa auf Kraftwerk, und von dort auf Techno, Elektro und Hip-Hop. INTERVIEW: MAP

Sonntag, 30. März 2008 Film: Andy Warhol, »Sleep«, 12 bis 17 Uhr Lesung: Hans-Christian Dany, 14 bis 15 Uhr, »Speed. Eine Gesellschaft auf Drogen«, erschienen in der Edition Nautilus, 2008