DER FALL LEA-SOPHIE ZEIGT, DASS AUCH DER STAAT VERANTWORTUNG TRÄGT : Warnendes Beispiel aus Schwerin
Schwerins CDU-Oberbürgermeister Norbert Claussen muss sich nun einem Bürgerentscheid stellen, weil er im Fall Lea-Sophie falsch gehandelt haben soll: das hat das Stadtparlament beschlossen. Natürlich ging es bei dieser Entscheidung nicht mehr allein um die Frage, wer für den Tod des schwer vernachlässigten Mädchens Verantwortung trägt. Daraus haben die opponierenden Fraktionen keinen Hehl gemacht: die Debatte drehte sich auch um Schulpolitik, ausufernde Bauprojekte, den Verkauf von Kliniken und ganz allgemein um den Umgang des Oberbürgermeisters mit dem Stadtparlament. Nicht zu Unrecht beklagte die CDU, hier sei einer Generalabrechnung vollzogen worden.
Dafür spricht, dass sich die Opposition zwei Monate zuvor nicht dazu hatte durchringen können, jenen Sozialdezernenten abzuwählen, der für das Jugendamt verantwortlich gewesen war und damit für die fatalen Fehler, die im Fall Lea-Sophie gemacht wurden. Mag sein, dass jene Stadtvertreter, die in der geheimen Abstimmung auf dessen Abwahl verzichteten, damit den Druck auf ihren Oberbürgermeister erhöhen wollten – ebenso gut ist es möglich, dass sie Claussen schützen wollten. Denn dass der verantwortliche Dezernent bleiben darf, während der Bürgermeister gehen soll, erscheint auf den ersten Blick unlogisch.
Doch auch Claussen trägt für die Zustände in Schwerins Jugendamt Verantwortung. So mussten die Sozialarbeiter in seiner Amtszeit immer mehr Fälle bearbeiten, während „Überlastungsanzeigen“ der Mitarbeiter folgenlos blieben. Claussen ist anzulasten, dass er dies zuließ, obwohl er durch Aufsehen erregende Fälle in anderen Bundesländern vor möglichen Folgen hätte gewarnt sein müssen.
Der Fall Lea-Sophie hat einmal mehr deutlich gemacht, dass man heute nicht mehr davon ausgehen kann, dass Familien stets von selbst funktionieren. Um Kinder zu schützen, muss ihnen das Gemeinwesen helfend zur Seite stehen. Claussen hat dieses Problem ignoriert, er muss im April möglicherweise den Preis dafür bezahlen. Damit gibt er schon jetzt bundesweit ein warnendes Beispiel ab. GERNOT KNÖDLER