: Opposition wittert den Skandal
Nach der Misshandlung eines Häftlings in der Justizvollzugsanstalt Celle werfen SPD und Grüne der Landesregierung weiter Vertuschung vor. Mail vor der Wahl an Christian Wulff wird öffentlich
VON KAI SCHÖNEBERG
Es riecht nach Siegburg. Jedenfalls wittert die Opposition im niedersächsischen Landtag einen Skandal, der an die Tragweite der Misshandlungen in einem Gefängnis in der Stadt bei Bonn reichen könnte. Im November 2006 hatten hier drei Häftlinge einen Mitgefangenen stundenlang gequält und ihn anschließend gezwungen, sich zu erhängen. In Niedersachsen ist die Lage anders: SPD und Grüne glauben, die Landesregierung habe Misshandlungen eines Mithäftlings in der Justizvollzugsanstalt Celle-Salinenmoor bewusst verschwiegen, damit es wenige Tage vor der Landtagswahl am 27. Januar nicht einen Aufruhr gibt wie rund um die Ereignisse in Siegburg.
In der Nacht zum 20. Januar war ein 28-Jähriger stundenlang in Salinenmoor von zwei Zellengenossen durch Schläge und Tritte verletzt worden, laut Anklage der Staatsanwaltschaft wurde er sogar vergewaltigt. Zuvor soll er darum gebeten haben, aus der mit drei Personen besetzten Zelle verlegt zu werden.
„Keinen Grund, irgendetwas zu skandalisieren“, sah Justizminister Bernd Busemann (CDU) schon vor der Sitzung eines Justizausschusses, zu dem die Opposition ihn und die im Januar noch amtierende Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) geladen hatte. Erst nachdem ein gerichtsmedizinisches Gutachten die Hinweise auf eine Misshandlung verdichtet habe, habe der Landtag über den Vorfall informiert werden müssen. Das war am 6. Februar. Zuvor, betonte Busemann, wäre eine Meldung an den Landtag „aufgrund der bis dahin unklaren Sachlage höchst problematisch gewesen“ und hätte „auch mit der zuvor geübten Meldepraxis nicht in Einklang gestanden“.
„Die Informationspolitik der Landesregierung ist ein Skandal“, sagt der Grüne Justiz-Experte Helge Limburg. Für ihn war es auch nach der Ausschuss-Sitzung ein „Rätsel“, warum der Landtag erst nach der Wahl, Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) jedoch vier Tage vor dem Urnengang über die Vorgänge in Celle informiert wurde. So sieht es auch Hans-Dieter Haase (SPD): „Offenbar hatte man Angst, dass die Mauer des Schweigens nicht halten könnte.“
Am Tag des Fernsehduells mit seinem SPD-Herausforderer Wolfgang Jüttner hatte das Justizministerium eine E-Mail an die Staatskanzlei geschickt: „Besonderes Vorkommnis in der JVA Celle, Abteilung Salinenmoor. Nicht öffentlich – rein vorsorgliche Unterrichtung.“
Darin wurde ein möglicher Vorwurf Jüttners widerlegt, der Vorfall in Celle habe Ausmaße der Geschehnisse in Siegburg. „Dies ist aus mehreren Gründen falsch“, schreibt das Ministerium an Wulff, der inzwischen zugegeben hat, die Mail gelesen zu haben. Die Verlegung sei vom mutmaßlichen Opfer zunächst gewünscht, dann wieder zurückgezogen worden. Der Sachverhalt sei strittig, vor allem die Sexualstraftat erscheine „nach derzeitiger Einschätzung wenig plausibel“, heißt es in der Mail. Allerdings habe der Anstaltsarzt „leichte Hämatome im Gesicht“ des Häftlings festgestellt. Wulff betonte am Mittwoch, „bei der Landesregierung ist alles korrekt gelaufen“. Da es sich um einen ungeklärten Sachverhalt gehandelt habe, habe es keinen Anlass gegeben, den Landtag zeitgleich mit ihm zu unterrichten.
„Der Ministerpräsident hat die Landesverwaltung für seine Wahlkampfzwecke missbraucht“, sagte hingegen SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner. Das Ministerium habe den CDU-Spitzenkandidat vor der Wahl gebrieft, aber der Öffentlichkeit den Fall verschwiegen. Wulff solle in der kommenden Woche im Landtag erklären, „in welchem Umfang die Landesverwaltung für Wahlkampfzwecke eingespannt war“.