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Archiv-Artikel

Eine irre Choreografie

Das Steigen und Fallen der Kurse: Am Schauspielhaus Zürich treiben sie Sebastian Nüblings „Macbeth“ voran

Machen zwei Schwalben schon einen Sommer? Aber ja, wenn der Winter des Missvergnügens so lange gedauert hat! Gegen das Ende der Spielzeit kommt die Saison am Schauspielhaus Zürich nun doch noch in Schwung. Liegt es an Shakespeare? Vor ein paar Wochen Stefan Puchers „Kaufmann von Venedig“, jetzt „Macbeth“ in Sebastian Nüblings Inszenierung: Das sind zwei sehenswerte Zürcher Produktionen. Dass beide von Leuten stammen, die überdeutlich an die Ära vor dem jetzigen Intendanten Matthias Hartmann erinnern, kann schon etwas bedenklich stimmen. Stefan Pucher und seine Lady Macbeth Bibiana Beglau waren Stützen des Marthaler-Ensembles; der Schauspieler Bruno Cathomas und Sebastian Nübling evozieren das Basler Theater der Stefan-Bachmann-Jahre.

Cathomas ist Macbeth: ein Hund. Ein windiger, ein bockiger, ein blutrünstiger Hund, mal winselt er, mal paradiert er stolz, mal leckt er sich die blutigen Lefzen. Ein Jagdhund, der nicht zur Ruhe kommt, bis er elend zusammenbricht. Er kläfft seine Widersacher weg, er springt auf seine Lady und wirft sie zu Boden. Dennoch ist natürlich sie es, die ihn an der Leine hält. Lady Macbeth, die Meisterin.

Am Anfang, als noch alles möglich scheint und die Ziele leicht erreichbar, schlendert sie verdächtig unauffällig über die Bühne, schräg und unbesiegbar, und knackt Erdnüsse, als beseitige sie Rivalen: Peanuts. Immer wieder schmiegt sie sich auf die Bühne, man kann es nicht anders sagen, sie ist plötzlich da wie ein dunkler Schatten. Bibiana Beglau ist eine gefährliche Lady Macbeth, gefährlich kühl, gefährlich bindungslos. Nicht unbedingt berechnend: Sie hat alles längst durchgerechnet.

Es wird überhaupt viel gerechnet in diesem „Macbeth“. Sebastian Nübling bringt Shakespeares Stück an die Börse. Der Zuschauerblick geht auf der Bühne von Muriel Gerstner in einen Ring, es herrscht Hektik, wie Hexenprophezeiungen leuchten mysteriöse Zahlenreihen auf, zwischendurch auch Königskrönchen. Später werden es Buchstabenreihen sein: „Signifying nothing“ lässt sich entziffern; „Kill/King“ in blutroten Lettern. Mit dem Gongschlag stürzt die Männergruppe der Ringhändler an die Rampe, Schreien – „à la criée“ heißt der Handel –, Kurse blinken, als wär’s eine Clubbeleuchtung, Arme recken sich wie im Tanz, Körper ballen sich, eine irre Choreografie. Klar, dass man dabei irgendwann an den realen Wahnsinn der Bankenzocker denkt.

Dann gibt es viel Coolness, Gambler-Haltungen, Rivalitäten, Thronfolgerkämpfe… eben ganz wie bei Shakespeare. The winner is vorderhand Macbeth; aber man weiß ja, wie die Geschichte ausgeht. Nübling erzählt sie in starken Bildern: Gespenstisch zieht die Börsianermeute im Bühnenhintergrund vorbei, an den Krawatten vorangezerrt von Lady Macbeth – ach, man möchte gar nicht aufhören mit Erzählen! Wie Lady Macbeth am Ende zusammenbricht und nur noch nach Blut lechzt; wie er seine Schreckgespenster sieht und daraufhin zur grotesken, kannibalistischen Macbeth-Version von „Purple Rain“ anhebt. Die leichenblasse Clownsfigur wäre zu erwähnen, der „Pförtner“ Tim Porath, mal Arzt, mal Hausverwalter, eine Ordnungsfigur, die im Chaos auch nichts ausrichten kann, aber er hat ein schön phallisches Laubbläserrohr, mit dem er sich ans Aufräumen macht. Und Katharina Schmalenberg als Lady Macduff und Börsenspeakerin und ihre melancholischen Songs! Von den reichhaltigen Assoziationen ist zu reden, von der rhythmischen Raffinesse, der spannungsvollen Choreografie. Und vom Irrationalen, das durch die Börsenzahlen hindurchblinkt, „wie Magie“ steigen und fallen die Kurse, wie im Schwindel treibt die Geschichte voran.

Ihr Ausgang ist bekannt. Es kommt zum Crash, und der neue King, der hier doppelt geführte Malcolm (Maik Solbach und Johannes Zirner), setzt an zum systemsanierenden Schnitt: „wie bei einem Körper, der von einem Krebsgeschwür angegriffen ist, müssen wir…“ – man kennt die Rhetorik. In der Börsen- und Bankenstadt Zürich wurde die Inszenierung freundlich aufgenommen, aber nicht gerade bejubelt. Man darf das für ein gutes Zeichen nehmen.

ANDREAS KLAEUI