: Gut für die Wirtschaft, schlecht fürs Auto
100 Tage nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien ziehen Experten eine gemischte Bilanz: In ein paar Orten häufen sich die Diebstähle. Meist aber blieben die Sorgen unbegründet. Die Wirtschaftsbeziehungen haben sich belebt
AUS ZITTAU MICHAEL BARTSCH
Im Rathaus von Zittau zieht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), 100 Tage nach dem Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien, eine positive Bilanz. „Ein Europa ohne Grenzen bedeutet letztlich mehr Sicherheit für alle“, sagt er am Dienstag bei einem Treffen mit seinen polnischen und tschechischen Amtskollegen
Draußen auf dem Rathausplatz sehen Zittauer Bürger das anders. „Politiker haben ihre eigenen Sicherheitsstandards“, hört man. „Die Kriminalität ist angestiegen“, sagt eine Blumenhändlerin und berichtet von einem Einbruch in ihren Stammbetrieb an der Neiße. Im Rathaussaal ist es der ehemalige sächsische Innenminister Heinz Eggert (CDU), der die Sektstimmung trübt. Er bestellt Grüße einer Frau, die in den vergangenen Wochen Auto und Werkstatteinrichtung eingebüßt hat.
Ein solcher Anstieg der Grenzkriminalität war vor der Erweiterung des kontrollfreien Schengen-Raumes am 21. Dezember 2007 allgemein befürchtet worden. Eingetreten ist er nur regional begrenzt, versichert Sachsens Landespolizeipräsident Bernd Merbitz. Im Dreiländereck um Zittau und in Görlitz, einem „idealen kriminalgeografischen Raum“, so Merbitz, sind auch zuvor schon häufiger Autos geklaut worden. In Görlitz verschwanden bis Ende Februar dieses Jahres 42 Fahrzeuge, im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es nur drei. Auch Banden nutzen offenbar die neue Reisefreiheit und schließen sich grenzübergreifend zusammen. Denn auch auf tschechischer Seite häufen sich die Eigentumsdelikte, wie Grenzbewohner berichten. Man sei aber kurz davor, zuzuschlagen, sagt Merbitz.
Im weiteren Verlauf der Neiße und Oder ist von den ostsächsischen Problemen kaum etwas zu spüren. „Die Ängste waren unbegründet“, sagt beispielsweise Bürgermeister Andreas Bänder aus Bad Muskau. Hier gab es in den Neunzigerjahren sogar eine Bürgerwehr gegen Schleuser und Diebe.
Auch Brandenburg oder das sächsische Westerzgebirge klagen nicht. Verlässliche Zahlen liegen nach einem Vierteljahr noch nicht vor. Bundesinnenminister Schäuble nennt lediglich 1.128 entdeckte illegale Einreisen von Ausländern. Der im Innenministerium für die Bundespolizei zuständige Rüdiger Kass versichert, dass es keine signifikante Zunahme der Kriminalität gegeben habe.
Das bestreitet allerdings Klaus Jansen, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Die Politiker seien „europaselig“, die Polizei schlecht vorbereitet.
Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo reagiert mit einem 15-Punkte-Plan und der Aufforderung an die Grenzgemeinden, auch nachts die Straßenbeleuchtung einzuschalten – woraufhin einige Bürgermeister auf ihre angespannten Kommunalhaushalte verweisen. Buttolo schickt auch 57 Ehrenamtler der Sächsischen Sicherheitswacht zusätzlich an die Grenze. Sie sollen das subjektive Sicherheitsempfinden stärken.
Wie lange das die Bundespolizei noch befördern kann, lässt der Bundesinnenminister insbesondere mit Blick auf die 850 unsicheren Stellen in Sachsen offen. Ihre Präsenz werde jedenfalls höher sein als in jedem anderen Bundesland.
Die massiven Kontrollen im Stil einer Schleierfahndung haben jedoch auch eine Kehrseite. Zwei Stunden seien seine Frau und sein Auto nach Rauschgift durchsucht worden, berichtet der Prager Parlamentsabgeordnete Jan Hornik. Von ähnlichen Ereignissen weiß auch Landrat Piotr Woroniak aus Zgorzelec zu berichten.
Gemeinsame Polizeistreifen sollen künftig den Frust abbauen, und vielleicht lernt mancher deutsche Polizist dabei, zumindest etwas Tschechisch zu stammeln. Zudem plant der sächsische Innenministers, Autokennzeichen an der Grenze zu erfassen. Für einen entsprechenden Gesetzentwurf sieht Buttolo auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. März gute Chancen.
Ungeteilte Freude hingegen herrscht darüber, dass sich vielerorts die lokalen Wirtschaftsbeziehungen belebt haben, auch wenn dafür ein intensiverer Lkw-Verkehr in Kauf genommen werden muss.