: Ich oder keiner
Wechseljahr 2008 (9): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation
Welche Strategie verfolgt Hillary Clinton eigentlich in diesen Tagen? Versucht sie, eine Win-win-Situation zu schaffen – eine Situation also, in der sie einfach nicht verlieren kann, egal was auch passieren mag?
Zwei Möglichkeiten sind vorstellbar: Sie gewinnt doch noch die Nominierung der Demokratischen Partei. In der Tat hat sie ja noch Chancen – in Pennsylvania, wo die nächste große Vorwahl stattfinden wird, liegt sie in den Umfragen ziemlich weit vor Barack Obama. Und es gibt viele Superdelegierte, die noch immer unentschieden sind und sich womöglich noch für sie entscheiden könnten. Clintons Wahlkampfberater Harold Ickes wird schließlich nicht müde, Druck auszuüben, indem er den Superdelegierten immer wieder unter die Nase reibt, dass Obamas Beziehung zu seinem ehemaligen radikalen Pastor und dessen „unpatriotischen“ und Weißen gegenüber „gehässigen“ Aussagen ihm schwer schaden werden. Die Folge: Obama würde in einem Kampf gegen John McCain unterliegen.
Die andere Möglichkeit: Clinton zerreibt die Demokraten durch diesen in die Länge gezogenen innerparteilichen Streit so sehr, dass McCain die Wahl im November gewinnt. Da er bei Amtsantritt mit 72 Jahren der bisher älteste Präsident sein würde, hätte er für eine erneute Kandidatur 2012 eine relativ schwache Ausgangsposition. Hillary Clinton wäre dann erst 65 – und die Bahn wieder frei für sie.
Aber was dachte sie sich dann, als sie sich immer wieder „versprach“ und das Märchen über ein überstandenes Scharfschützengefecht in Bosnien 1996 erzählte? Es war ja eben nicht nur ihrem zu großen Schlafdefizit geschuldet, wie sie später behauptete. Der wieder ausgegrabene Fernsehstreifen zeigt mit nicht zu überbietender Deutlichkeit, wie freundlich der Empfang war, mit den zur Begrüßung versammelten Kindern und anschließender geselliger Singrunde. Trotzdem hielt sie hartnäckig an ihrer Version fest. Wie ein UN-Beamter in einem Leserbrief zum Skandal bemerkte, lag der Clou der ganzen Geschichte just darin, dass der Krieg schon drei Monate früher zu Ende war und ihr Besuch – mit Tochter Chelsea – planmäßig den so schwer ausgehandelten Frieden feiern sollte. Man würde doch denken, diese Diskrepanz zwischen Rede und Wirklichkeit würde ihre oft beschworene „Erfahrung“ und „Bereitschaft“ für das Amt in Frage stellen.
In einer Rede in Philadelphia insistierte Hillary Clinton aber, sie sei wie der (von Sylvester Stallone im Film „Rocky“ gespielten) Boxer Rocky Balboa und sagte: „Ich gebe nie auf.“
Ein anderer Athletenvergleich fiel einem verärgerten Demokratischen Parteibeamten ein: Clinton, sagte er, benimmt sich wie die frustrierte Profi-Eisläuferin Tonya Harding, die 1994 einen Mann anheuerte, um die Kniescheibe ihrer Rivalin zu zertrümmern. Nach dem Motto: Wenn ich nicht gewinnen kann, wird keiner es tun.
Dagmar Herzog, Jahrgang 1961, Historikerin am Graduate Center, City University of New York, forscht u. a. zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA