Aus Perspektive der Verlierer

Eine Ausstellung und eine Veranstaltungsreihe im Instituto Cervantes widmen sich Walter Benjamin. Seine Existenzweise repräsentiert den frei schwebenden Intellektuellen. Doch wie sein philosophisches Werk in eine Ausstellung packen?

Es ist ein Wunder, dass das Werk Walter Benjamins größtenteils der Vernichtung entgangen ist

VON MANUEL KARASEK

Walter Benjamin nahm sich 1940 auf seiner verzweifelten Flucht vor der Wehrmacht und der Gestapo im katalanischen Portbou das Leben. Diese Tragödie prägt jedwede Form von öffentlicher Präsentation, die sich dem Werk dieses bedeutenden Denkers widmet. Für die Ausstellung, die im Instituto Cervantes vor drei Wochen eröffnet wurde, ist der aus Katalonien stammende Francesc Abad verantwortlich. „block W. B.“ betitelt sie der 1944 geborene Künstler.

Auf den ersten Blick mag es vielleicht nicht unbedingt einleuchtend erscheinen, dass Abad mit seinen Exponaten, die vom Multimedialen bis zum Familienfoto unter Vitrinenglas reichen, eine Brücke zu seiner eigenen Vergangenheit schlägt. Doch die assoziative Ableitung zum Moribunden ist keinesfalls abwegig: Der Suizid des Geistesmenschen in einem katalonischen Grenzort, die grauen Nachkriegsjahre unter der Diktatur Francos mit ihrem intellektuellen Stillstand, die Erinnerung an einen zentralen Gedanken in Benjamins Geschichtsverständnis: der historische Materialismus als veränderte historische Deutung, welche – verkürzt dargestellt – die Perspektive der Verlierer umreißt.

Die Doppelbödigkeit des dialektischen Diskurses, den Walter Benjamin geführt hat, prägte auch die anderen Beiträge, mit der die Reihe begann. Ralph Buchenhorst, der an der Universität Buenos Aires lehrt, benutzte in seinem sehr schönen Vortrag gar den ambivalenten Begriff des Phantoms für eine Denk- und Lebensweise, die immer zwischen Peripherie und Zentrum oszillierte. Der Entwurf einer antagonistischen Gestalt – unglücklich defensiv geführte Dreiecksverhältnisse einerseits, Kasinogewinne anderseits, die Benjamin offensiv in Flugreisen investierte – diente eigentlich der Zeichnung einer paradigmatischen Existenz des freien Intellektuellen im 20. Jahrhundert. Das Besondere an Benjamin dabei war laut Buchenhorst, dass seine vorwiegend literaturkritische Beschäftigung mit verschiedenen Autoren unter anderem auch das Ziel verfolgte, das eigene Ich aufzusplittern – und so im Dienste einer Strategie der Deckung stand. Deshalb auch die Metapher des Phantoms.

Es hat durchaus etwas Gespenstisches, daran erinnerte Ursula Marx vom Walter-Benjamin-Archiv, dass sich in der Rosenstraße, wo die Ausstellung im Cervantes-Institut zu sehen ist, die Zentrale der Gestapo befand. Aber ebenso rief sie auch die Erinnerungen an jene mutigen Frauen wach, die während des Krieges vor diesem Gebäude gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer erfolgreich protestierten. Auch hier zeigte sich erneut die Zweigesichtigkeit der Geschichte.

Es ist ein Wunder, dass Benjamins Werk größtenteils der Vernichtung entgangen ist, 2004 entdeckte etwa ein Mitarbeiter in Moskauer Archiven Manuskripte. Zu diesem Wunder gehört aber auch, dass die mit Manuskripten vollgepackten Koffer, die Benjamin bei seiner unglücklichen Flucht dabei hatte, unbeschadet in New York landeten – und dann, wegen eines beigelegten Testaments, seinem Nachlassverwalter Adorno überreicht wurden.

Dass ein Literaturkritiker, dessen Tätigkeit sich zu einem komplexen philosophischen Werk ausweitete (das bis heute noch nicht bis zur Gänze erschlossen ist), wohl Perspektiven in zahlreiche Richtungen erlaubt, wird mit Sicherheit alle fünf Veranstaltungen bis zum Mai prägen. Das ist auch der attraktivere Teil der Reihe. Denn die Ausstellung selbst demonstriert durch Abads Konzeption und die Leihgaben des Walter-Benjamin-Archivs – Fotokopien und Originale seiner Manuskripte – einen Charme der Leichtigkeit, der jedoch auch seine unübersehbaren Schwächen in sich birgt.

Dass am Eingang zwei alte, verloren herumstehende Koffer den Besucher empfangen und dazu eine eher hässliche Berlin-Karte zu sehen ist, ist als künstlerisches Konzept bestenfalls als didaktischer Kitsch zu bezeichnen. Die einzelnen Filme, die man sich auf PC-Monitoren anschauen kann und die einzelne Gedanken Benjamins visuell kommentieren, wirken ebenfalls nicht gerade inspirierend. Der Sinn herbstverfärbter Blätter, die durch Hände gleiten, die später auf ihnen schreiben, erscheint als eher hilflose Visualisierung.

In der Vitrinenausstellung funktioniert die assoziative Querverweisstrategie Abads allerdings besser: Es sind Fotos zum Beispiel von Schwarzafrikanern zu sehen, die – so die Bildunterzeile – zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Schwerstarbeit zu Tode geknechtet wurden; Zeitungsausschnitte einer Aufführung des „Zerbrochenen Krugs“ von Kleist in Spanien aus den 60er-Jahren – beides nimmt unterschiedlich Bezug zu den Themen Ausbeutung und Diktatur. Es gibt Tagebuchnotizen – da sind dann die Namen Derek Walcott, Seamus Heaney und Brodsky zu lesen – alle drei Lyriker und Nobelpreisträger, zwei von ihnen haben explizit das Thema Emigration thematisiert.

Man mag einwenden, einem so verdichteten Diskurs wie dem von Benjamin mit nichtphilosophischen Mitteln zu begegnen, sei letztendlich fragwürdig. Man übersieht allerdings dann, dass die Exponate und Abad selber zu einer sehr angenehmen und offenen Diskussionsatmosphäre beitragen. Überhaupt darf man auf die Beiträge gespannt sein – Vorträge und Gesprächsrunden –, die so interessante Titel tragen wie „Der bedrohte Zeuge – von Primo Levi und Jean Améry zu Jonathan Littell“ oder „Der Messianismus Walter Benjamins und die künftigen Generationen“. Heute sprechen Manel Clot und Pilar Parcerisas über die „Archäologie der Erinnerung“.

Vortrag Manel Clot und Pilar Parcerisas: heute, Instituto Cervantes, Rosenstr. 18–19, 19.30 Uhr