: Tempel im Park
Schon immer galt der Gotische Tempel, der im berühmten Stowe Landscape Garden steht, als skurriles Bauwerk. Er bot Parkbesuchern Schutz bei Regen
29 Kilometer nordöstlich von Oxford. Sehr abgelegen, inmitten der 140 Hektar großen National-Trust-Parkanlagen Stowe Landscape Gardens. Ohne eigenes Auto kostet ein Einkauf per Taxi im 5 Kilometer entfernten Buckingham um die 9,00 Euro. Gothic Temple, Stowe Landscape Gardens, Buckinghamshire, Großbritannien (+44-16 28) 82 59 25. Das Gebäude wird durch den Landmark Trust verwaltet, eine gemeinnützige Organisation zur Restaurierung und Erhaltung historischer Gebäude von nationaler Bedeutung. 2 DZ, Vermietung nur für 3, 4 oder 7 Tage, 7 Tage 1.066,00 Euro , 2.270,00 Euro. www.landmarktrust.org.uk Die Führung durch das enthusiastische Personal des National Trust ist sehr zu empfehlen. Der 140 Hektar große Park mit seinem 16 Kilometer langen Wegenetz gilt neben den Londoner Kew Gardens als bedeutendster englischer Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts. Mehr als 40 Monumente, Rotunden, Tempel, Statuen, Brücken und ornamentale Seen sind zu besichtigen, 27 von ihnen sind als schützenswerte historische Gebäude ersten Grades klassifiziert. Fast alle Gebäude und ihre spezifische Anordnung im Park haben eine besondere, oftmals politische Bedeutung. Die „Seite der Tugend“ (Circle of Virtue) mit dem „Tempel der Freundschaft“ und dem Gotischen Tempel etwa fungiert als Gegengewicht zur „untugendhaften“ Seite mit dem „Tempel der unerwiderten Liebe“, dem „Tempel des Bacchus“ und der „Couch der Freuden“. Auch Teile der traditionellen Privatschule „Stowe School“, eines imposanten Baus aus dem 17. Jahrhundert, kann man besichtigen. Zu den ehemaligen Schülern zählen beispielsweise Prinz Rainier III. von Monaco. Kostenlose Führungen von zwei Stunden, zwei- bis dreimal täglich, außer montags und dienstags, dann bleibt der Park für die Öffentlichkeit geschlossen. (+44-12 80) 82 28 50, www.nationaltrust.org.uk/stowegardens
VON BETTINA KOWALEWSKI
Unser Taxi fährt eine kilometerlange schnurgerade Straße entlang, bis zum Eingang des renommierten Elite-Internats „Stowe School“. Very British. Und elitär. Der Schulpförtner händigt uns den Schlüssel zu unserer Unterkunft aus, zu unserem eigenen Tempel (!), der sich wie das Internat auf dem Gelände der berühmten Stowe Landscape Gardens befindet. Jungen in Weiß rennen über den Rasen, sicher auf dem Weg zu einem Kricket-Spiel. Hier ist die legendäre britische Klassengesellschaft auf Schritt und Tritt spürbar, und nun gehören wir – als Gäste – also auch zum erlauchten Kreis. Wir fahren und fahren in dem wunderbar wilden Parkgelände umher – Hinweisschilder gibt es keine. Schließlich biegen wir in einen Feldweg ein. Da endlich, am Ende einer baumgesäumten Allee, thront er, der imposante „Gothic Temple“, oben auf einem Hügel neben einer pittoresk windgebeugten Zeder. Uns ist, als stiegen wir in ein altenglisches Landschaftsgemälde. Und das ist auch gar nicht mal so abwegig, wie sich noch herausstellen soll.
Der tempelartige Bau mit seinen gotisch spitz zulaufenden Fenstern und gezackten Türmen wirkt von außen riesig und ehrfurchtgebietend, fast schon ein wenig einschüchternd. Doch als wir die massive, mit metallenen Fratzen beschlagene Holztür öffnen, stehen wir in einem luftigen, domartigen Raum, viel übersichtlicher und daher auch heimeliger als erwartet. Nach oben hin öffnet er sich in eine prächtige Kuppel, von goldfarbenem Mosaik verziert. Wir stehen und staunen.
Die Architektur ist genial: Der Grundriss des Gebäudes ist dreieickig, doch in jedem der drei Ecktürme befindet sich ein rundes Zimmer, und auch der offene hohe Raum im Zentrum, das Wohnzimmer, bildet durch die Kuppel einen Kreis im Dreieck. Eine umlaufende Galerie im ersten Stock wiederholt noch einmal die Rundung. Die sakrale Atmosphäre wird durch die wohnliche Einrichtung gemildert. Die Farbgestaltung ist bunt, modern. Eine Ess- sowie eine gemütliche, knallbunte Sofaecke, Bücherschränke und -vitrinen, bestückt mit Lesestoff über die Historie und die Natur des Parks, und französische Türen in den hohen gotischen Fenstern, die zum Park hinausführen.
Die Ecktürme beherbergen allesamt runde Zimmer: eine gut ausgestattete (runde) Küche, ein (rundes) Bad mit freistehender Wanne und bunten Fenstern, oben die zwei (runden) Schlafzimmer. – Rudolf Steiner hätte hier seine helle Freude gehabt! Im ersten Stock blickt man von der kreisrunden Galerie wie von einem Aussichtsring hinab ins Wohnzimmer oder auch nach draußen in den Park: Antike Sekretäre und steinerne Sitzbänke laden zum kreativen oder auch kontemplativen Verweilen ein – bei grandiosem Ausblick auf die exakt in dieses Blickfeld platzierten Monumente, Tempel und Seen der berühmten Stowe Landscape Gardens.
James Gibbs, Stararchitekt seiner Zeit und Schöpfer anderer architektonischer Meisterwerke wie der berühmten Konzertkirche St. Martin in the Fields in London, schuf den Gothic Temple 1741 bis 1745 als eine sogenannte Folly, ein kurioses Gebäude, das nicht unbedingt einen praktischen Nutzen erfüllen musste. In der Tat wurde der Gotische Tempel nie etwa als Gotteshaus oder Ähnliches genutzt, er erfüllte vielmehr ziemlich irdische Zwecke: Er diente nämlich der distinguierten Gesellschaft um Lord Cobham als Regenschutz auf ihren ausgedehnten Spaziergängen durch den Park. Die fantastische 360-Grad-Panorama-Aussicht vom Dach über der Kuppel ist auch heute noch ein besonderes Erlebnis. Der Tempel wurde bewusst so exponiert auf einem Hügel platziert: Sehen, aber auch gesehen werden, das war das Motto.
Der Gotische Tempel war ein weithin sichtbares politisches Statement seines Auftraggebers und eine Rebellion Lord Cobhams gegen die Politik seiner Zeit. Auch unter dem Namen Tempel der Freiheit bekannt, gilt der Gotische Tempel als Höhepunkt von Cobhams politischer Gartenkunst in Stowe. Sein berühmter Landschaftsgärtner Lancelot Capabilty Brown trieb seine ureigene Technik des painting with nature in Stowe zur Meisterschaft: er formte und komponierte die Landschaft des Parks wie ein Gemälde, indem er durch Bäume, Monumente, Follies, Brücken, Seen oder auch durch Weite genau kalkulierte rhythmische Akzente setzte und dem umherschweifenden Auge Orte zum Verweilen bot. Er wollte jedoch nicht nur ästhetisch erfreuen, sondern auch den Geist anregen. Die Sorgfalt der Komposition ist deutlich zu spüren, daher fühlten wir uns beim Anblick des Tempels wohl auch sofort an Malerei erinnert.
Und nun wohnen wir also in einem Stück vollendeter englischer Landschaftskunst des 18. Jahrhunderts. Dies ist ein wahrhaft magischer Ort voll verborgener Bedeutung, politischer Auseinandersetzung und aristokratischer Annehmlichkeiten des 18. Jahrhunderts. Das Ambiente des Tempels, der etwas muffige Geruch, die unverputzten Sandsteinwände und das Fehlen jedweder moderner Kommunikationsmittel wie Telefon, Radio oder gar TV, all das hilft, uns in die Welt des 18. Jahrhunderts zurückzuversetzen.
Fast drei Jahre hat die Journalistin Bettina Kowalewski die verrücktesten Hotels von Europa bis Asien ausgespäht. „Es begann in Australien mit der Bemerkung eines Mitreisenden: In Victoria könne man in einem Troll übernachten. – Einfach crazy! Und schon hatte es mich gepackt.“ Am meisten überraschten die Journalistin „die charismatischen Besitzer dieser fantasievollen Behausungen. Bewundernswerte, mutige Menschen, voller Idealismus und Elan, die es trotz vieler Widerstände geschafft haben, ihre Träume in die Tat umzusetzen.“Wir porträtieren drei Hotels, weitere sind in einem Bildband der Autorin zu entdecken.
Bettina Kowalwski: „Crazy Hotels“, Wien 2008, 191 Seiten, 19,90 €
Neugierige Blicke und ungläubige Fragen der Spaziergänger, ob wir hier wohnten und ob man den Tempel wirklich mieten könne, holen uns zurück ins Hier und Jetzt. Ja, dies ist nach wie vor ein äußerst privilegierter Ort. Die Lage mitten im wunderschönen Park, bei den Eintritt zahlenden Tagesgästen beliebt für Picknicks, und die vielfältige Flora und Fauna sind ein wahrhaft fürstlicher Genuss. Wilde Kaninchen hoppeln davon, Eichhörnchen, Reiher, Blesshühner, Teichhühner, Gänse, Enten, Schwäne, sogar schwarze, Spechte, Haubentaucher, Meerschwalben, Baumläufer und Turmfalken sind hier zu finden. Ebenso wie üppige Wasserlilien, hoch emporragendes Sumpfgras, über die Teiche hängende Weiden: Der Park um den Gotischen Tempel ist ein wunderschönes Naturparadies, zum Spazieren und Sinnieren. Ein wahrer Luxus!
Wenn am Abend der Park schließt und kein Tourist mehr zu sehen ist, senkt sich eine ätherisch-friedliche Stimmung über die Landschaft. Ich blicke aus dem Fenster und sehe den Mond aufgehen über der palladischen Brücke – pittoresk wie ein Gemälde.