piwik no script img

Archiv-Artikel

Unwohl in der eigenen Haut

Im Studio der Schaubühne wird eine „Deutschlandsaga“ aufgeführt. Kurze Stücke forschen anhand der Nachkriegsgeschichte nach Identitäten

Der Einlass verläuft schleppend. Maximal drei Personen auf einmal werden ins Studio der Schaubühne vorgelassen. Unter der Überschrift „Deutschlandsaga“ werden dort seit Ende letzten Jahres in einer Reihe von sechs nach Jahrzehnten sortierte Werkstatt-Inszenierungen, sechzig Jahre deutsche Nachkriegszeit verhandelt. In einem Vorraum empfängt uns Felix Römer als schmierig grinsender Mitarbeiter einer Arbeitsagentur im Deutschland der Gegenwart. Ganz offensichtlich hat man da aber andere Sorgen, als die unbehagliche deutsche Identität zu pflegen. Diese Ambition nämlich hatte in den unterschiedlichen Klein- und Kleinstdramen deutscher Nachwuchsautoren – jeweils drei pro Jahrzehnt wurden aufgeführt – zur Auseinandersetzung beflügeln sollen.

„Was bedeutet Ihnen Deutschland?“, fragt Römer zunächst auch pflichtschuldig jeden Ankommenden und blickt mit seinem unvergleichlichen schwitzig-unterwürfigen Felix-Römer-Blick durch ein hässliches Brillengestell. Die nichtsagenden Antworten, sie werden ins Foyer übertragen, demonstrieren vor allem, dass Deutschland als Thema heute nicht mehr fetzt.

Wohl in ihrer eigenen Haut scheint sich die zeitgenössische Jugend nicht zu fühlen. Zwei von ihnen begegnet man im „Stück gegen sich selbst“, von Dirk Laucke. In klassischer Autonomenmontur befassen sie sich mit der kraft- und nervenzehrenden, aber irgendwie auch recht unmotivierten Verfolgung von „Faschos“. Niels Bormann und Ina Tempel pflügen sich dann mit einigem Furor durch das kichernde, dicht gedrängte Publikum. Zwischendurch bekommt man auch Fetzen der aberwitzigen Geschichte mit, die Laucke seiner Heldin auf den Leib geschrieben hat: Ihr Opa war bei der SS, was das Mädchen zufällig herausfand, als sie beim Windelnwechseln die SS-Tätowierung des inkontinenten Greises entdeckt. So weit, so ironisch. Nun ist der Opa tot und sie erbt sein Geld. Aber das gute Kind will das Nazigeld natürlich nicht und lebt lieber von Hartz IV. So sieht heutzutage das Leiden an Deutschland aus.

In der Arbeitsagentur sehen wir dann auch Felix Römer wieder, der inzwischen Peter Hartz höchstpersönlich entführt hat, um mit ihm Mängel seiner Reform noch mal durchzugehen. Und während eine grässlich aufgedunsene Puppe im mausgrauen Anzug mit Paketband verschnürt neben ihm auf einem Plastikstuhl sitzt, hört Römer mit debil-seligem Lächeln im Radio die Übertragung eines WM-Fußballspiels.

Manchmal ahnt man den Versuch, aus den Typen und Klischees, die das Thema Deutschland am Fließband produziert, so etwas wie eine kleine fiese Komödie zu bauen. Aber so recht will es nicht gelingen.

„Mashup“ nennt der Australien-Schweizer Simon Froehling sein an die Wortfechtereien der Poetry-Slams angelehntes Stück, in dem sich ein halbes Dutzend Schauspieler Reizworte aus dem globalen Medienslang um die Ohren hauen. Die Botschaft des mit aberwitzigem Sprach- und Körpereinsatz in einem Käfig vorgeturnten Slapsticks ist simpel: Der Neoliberalismus löst alle Kontexte auf, weshalb natürlich auch das Knabbern an der deutschen Identität keinen Sinn mehr macht. Selbst dann nicht, wenn der seltsam uninszenierten Phantomredaktion ein jüdischer Journalist vorsteht, der an Maxim Biller erinnern soll und sich einen aggressiven Schattenkampf mit einem Mitarbeiter liefert. Hier raunt das kleine Drama bedeutsam, lässt aber das Wie und Warum im Dunkeln. Das Finale wird von Darja Stockers Kurzstück „Vielleicht ein Pferd“ bestritten: Zu sehen gibt es darin eine kommerzialisierte Jungmädchenwelt zwischen Diddl-Maus, Pferdepostern und Kentucky-Fried-Chicken. Die Jugend aus dem rosa Plüsch-Kinderzimmer führt auf den Straßenstrich, was Ina Tempel mit vitaler Spiellust demonstriert. Dann spielen auch zwei Freundinnen eine Rolle, von denen eine in Berlin, die andere in Mexiko lebt. In die Symptome von zartem Wahn gehüllt, spielt Ursula Doll die Ferne, während ihr Berliner Pendant nur über Lautsprecher zu hören ist. So recht stellt sich aber keine Geschichte ein, die einen Sinn im Gesamtkontext dieser Reihe ergibt. Am 29. April wird alles besser, verspricht der Pressereferent. Dann hat nämlich ein Sampler aus den achtzehn Stücken der letzten Wochen Premiere. Der Krampf geht weiter.ESTHER SLEVOGT