: berliner szenen Alles wird super
Brief vom Anwalt
Der Absender des Päckchens war ein Rechtsanwalt. Ein bisschen mulmig wurde mir schon, und während ich die Treppe hochging, überlegte ich, was ich in den letzten Monaten verbrochen hatte – vielleicht hatte mich jemand beim Rauchen beobachtet –, und dachte an meine Teenagerzeit, als ich mal wegen einer Geschichte zu einer Woche gemeinnütziger Arbeit im Garten des Altersheims verurteilt worden war.
Die Arbeit war nett gewesen. Ich hatte mit einem dicken Dorfjungen zusammengearbeitet, der in eine Bäckerei eingebrochen war, um die leckeren Kuchen zu essen. In dem Päckchen war aber keine Klage, sondern ein Preis. Das heißt ein Buch mit Texten des Stifters und ein Brief. Eine Jury hatte sich darauf geeinigt, mir für mein Buch im September in Hamburg einen Preis zu verleihen. Es werde eine Veranstaltung im Hamburger Literaturhaus geben, ich dürfe auch ein paar Freunde mitbringen und wir würden dann alle schön zu Abend essen. Viel schönes Geld wird es auch geben. Alles wird super!
Ziemlich überrascht stand ich in meinem Zimmer, lief aufgeregt hin und her und wusste nicht, was ich machen sollte. Probeweise hüpfte ich ein paar Mal in die Luft, machte ein Lieblingslied laut, rauchte, ging spazieren, schenkte einer Motz-Verkäuferin fünf Euro, fand mich fünf Meter lang geizig, weil ich ihr nicht zehn gegeben hatte, und kaufte eine Flasche Champagner.
Abends kamen Freunde. Wir guckten ein paar Folgen von „The Wire“, der Lieblingsserie von Obama. Komisch, dass das Ambiente der ersten Folgen, die 2001 gedreht worden sind, so altmodisch wirkt. Dass einem also die gerade vergangene Vergangenheit oft viel entfernter vorkommt als die 70er- oder 80er-Jahre.
DETLEF KUHLBRODT