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Archiv-Artikel

Zurück auf den Teppich

Das Leben als Provisorium – auf nackten Dielen – ist vorbei: Man kauft wieder Teppiche, die zur Wellnessinsel werden

VON NATALIE TENBERG

Man muss den Blick zu Boden richten, um zu verstehen, wo der Einrichtungstrend hingeht. Bisher glänzt die typische Altbauwohnung in Deutschland mit Parkettboden oder abgezogenen Holzdielen. Eine glatte Oberfläche, nackt gehalten, ein kodiertes Zeichen guten Geschmacks, der sich im Hang zum Minimalismus ausdrückt. Zunehmend jedoch wird dieses Parkett nicht nur gepflegt, sondern auch wieder belegt. Scheibchenweise, hochwertig und dick. Der Teppich kehrt zurück – nicht als Vollbelag von Wand zu Wand, sondern als abgekantetes Einzelstück, das seine Besitzer charakterisiert. Man mag es wieder gemütlich – und bei achthundert bis tausend Euro pro Quadratmeter auch teuer.

In der Rückkehr zum Teppich steckt ein überwundenes Trauma – das von den Einrichtungssünden der Eltern oder was man während der Jugend für sie gehalten hat. Wer es früher durch Fleiß und Sparsamkeit zum Eigenheim gebracht hatte, legte sich gerne zusätzlich als Statussymbol einen Perser in die Stube. Ganze Generationen schauten auf die bunten Orientteppiche der Eltern, mit den täglich akribisch in Reih und Glied gebrachten Zotteln. Mit der Imitation der Familienkonstellation nähert man sich auch dem Einrichtungshabitus der Eltern an: Teppich kehrt als subtiles Statussymbol wieder.

„Es boomt“, sagt Michaela Schleypen. Seit dreieinhalb Jahren betreibt die Designerin in Köln ihr Geschäft „Floor to Heaven“ und erkennt eine deutliche Tendenz zum hochwertigen Teppich. Ihre Kunden legen Wert auf Innovation und Individualität. Es passt zu den Zeiten, in denen so viel von Rückbesinnung auf die Familie gesprochen wird, dass nun Kuscheliges Einzug erhält. Man hat wieder Kinder, schwört auf beständige Werte und vielleicht gar auf eine hölzerne Bank in der Küche.

Als gut wird jetzt eben gesehen, was das Leben ausgeglichen macht, Zuflucht bietet. Das kann ein Yogakurs sein, Lebensmittel aus dem Biomarkt oder eben auch eine dicke, warme Teppichinsel, auf die man sich legen kann, während man mit dem Kind das Wimmelbuch anschaut. Dass das Parkett aber nie ganz verschwindet, sondern immer als Grundlage des Raumes und der Eigendefinition erhalten bleibt, ist selbstverständlich. Eine Annäherung an die Einrichtung der Eltern ist eben kein pures Übernehmen. „Eigentlich zerstört ein Teppich von Wand zu Wand jedes Raumkonzept“, stellt Jürgen Dahlmanns von Rug Star Berlin fest und macht unmissverständlich deutlich, dass er von Auslegeware gar nichts hält. Der studierte Architekt, der seinen Beruf aufgab, um mit einer Ich-AG selbst entworfene Teppiche zu verkaufen, erläutert: „Seit der Moderne lösen sich die klassischen separierten Räume auf. So wird der Teppich wieder ein wichtig, um Raum im Raum zu definieren. Tisch und Teppich sind nicht mehr Tisch und Teppich, sondern Esszimmer.“

So wird nun in einer kalten Edelstahlküche für Gäste gekocht, die auf dem flauschigen Teppich sitzen. Auch Dahlmanns lebt vom Trend zum hochwertigen Teppich. Aus der Ich-AG ist längst ein profitables Geschäft geworden. Dahlmanns heimelige nepalesische Teppiche bedienen gleich mehrere Sehnsüchte: nach Gemütlichkeit, nach kontemporären Design, nach Beständigkeit und ein wenig Privatsphäre, die dank gedämpftem Raumklang des modern bunten Bodenschmucks wegen vermittelt wird.

Keinen Zufall findet der Designer, dass Luxusteppiche gerade jetzt wieder gefragt sind. „Wenn man sich mal an diese harte, brutale Gesellschaft der späten Neunziger erinnert, dann ist es doch kein Wunder, dass der Teppich zurückkehrt.“ Ein Teppich aus Wolle, der nicht altert, sondern in Laufe der Zeit und mit jeder neuen Macke höchstens sein Metadesign ändert, drückt diese Befindlichkeit besser aus als ein Wegwerfstück für einen kurzen Lebensabschnitt. „Ein Teppich ist ein Statement, das man einfach machen kann, ohne auf elitäre Strömungen zu achten wie bei Kunstwerken“, sagt Ben Evans von modern carpets & textiles for interiors, einer europäischen Teppichpublikation aus London.

Bei so viel Innovation und Individualisierung auf dem Teppichmarkt tut sich ein Klassiker schwer: der Perserteppich. Vom Jahre 2000 bis dato gingen die Einfuhren nach Auskunft des Bundesverbandes der Orientteppichimporteure um 55 Prozent zurück. Ein Rückgang, der sich jedoch teilweise aus einem geänderten Lager- und Bestellverhalten der Händler ergibt.

Dem Trend zum dicken Teppich hat das schwindende Interesse am guten Perser nichts anhaben können. Was Erfolgsgeschichten wie die von Michaele Schleypen und Jürgen Dahlmanns verdeutlichen. Ein fett-flauschiger Bodenbelag spendet Geborgenheit, an der es außerhalb der privaten Räume offenbar gebricht. Die Sorgfalt, die man braucht, um solch ein Stück Bodenzierde zu pflegen, wird wieder aufgewandt, des körperlichen und sozialen Wärmegefühls wegen. Nicht nur in metropolen Altbauten. Man hält wieder auf Werte – die sich gut anfühlen.

NATALIE TENBERG, Jahrgang 1976, lebt gern mit einem Orientteppich – aus Tradition