OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Das Werk des 1990 verstorbenen Regisseurs Jacques Demy war geprägt von viel Musik, von persönlichen Erinnerungen und Visionen sowie einer nicht immer auf den ersten Blick sichtbaren Verankerung seiner Themen in der sozialen Realität. Nur wenig mit der Realität zu tun hatte allerdings „Die Mädchen von Rochefort“ (1967), Demys Hommage an das amerikanische Musical und eine wunderbar fröhliche und farbige Fantasie über die Suche zweier Zwillingsschwestern und ihrer Bekannten nach der idealen Liebe. Ungewöhnlich war zweifellos Demys Wunsch, das teure Musical an Originalschauplätzen zu drehen: Vier Monate nistete sich das Team im Sommer in Rochefort ein, strich den Ortskern neu an und verwandelte die Militär- und Marinestadt in eine große Fete. Im Mittelpunkt der Story finden sich jedoch die von den Schwestern Catherine Deneuve und Françoise Dorléac verkörperten Zwillinge, die nicht als Musik- und Tanzlehrerinnen in der Provinz versauern wollen und von der Karriere in Paris träumen. Die Mädchen von Rochefort ist ein sogenanntes „integrated“ Musical: Die Tänze entwickeln sich sowohl aus Alltagssituationen (wie dem Aufbau eines Jahrmarkts) als auch als Ausdruck der Emotionen der Protagonisten, und die – ebenfalls von Demy stammenden – Liedtexte (Musik: Michel Legrand) führen die Dialoge weiter. Einmal wird bei einem Abendessen die gesamte Unterhaltung in Reimen geführt, in einer anderen Szene entwickelt sich das Vorlesen einer Mordnachricht aus der Zeitung zu einem Lied. Zusammen mit seinen Filmen „Lola“ (Demy: „Ein Musical ohne Musik“) und „Die Regenschirme von Cherbourg“ (einer melancholischen, ebenfalls von Legrand komponierten Filmoper mit extravaganter Farbgestaltung, in der alle Dialoge gesungen werden) sind „Die Mädchen von Rochefort“ im Babylon Mitte zu sehen.

Dass japanische Zeichentrickfilme ganz andere Themen haben, als man es hierzulande gewohnt ist, dürfte mittlerweile klar sein. Doch ein Werk über zwei Kinder, das mit dem Dialogsatz „Am 21. September 1945 bin ich gestorben“ beginnt, ist unzweifelhaft wirklich erstaunlich. 1988 drehte Isao Takahata, neben Hayao Miyazaki Mitbegründer und Leiter des Studio Ghibli, sein Drama um den Teenager Seita und seine kleine Schwester Setsuko, die nach einem Bombenangriff vor den Trümmern ihrer Existenz stehen: Das Haus ist abgebrannt, die Mutter ein verstümmeltes Etwas in blutigen Bandagen, der Vater irgendwo im Krieg verschollen. Die Versuche der Kinder, sich allein durchzuschlagen, enden mit dem Hungertod. Starker Tobak also. Doch das eigentliche Motiv des Films ist die Einforderung des Rechts auf ein kindgerechtes Leben, das Seita der Schwester zu ermöglichen sucht und das die mit dem Krieg und sich selbst beschäftigten Erwachsenen nicht verstehen können. Insofern erscheint das Thema universell und passt zu Hayao Miyazakis fantasievollem Kinderfilm „Mein Nachbar Totoro“, mit dem „Die letzten Glühwürmchen“ ursprünglich in einem nur scheinbar sonderbaren Doppelprogramm in Japan lief.

LARS PENNING

„Die Mädchen von Rochefort“: 30. 4., „Die Regenschirme von Cherbourg“: 24./26.–29. 4.; „Lola, das Mädchen aus dem Hafen“: 25./26./29. 4. im Babylon Mitte

„Die letzten Glühwürmchen“ aka „Das Leuchtkäfergrab“ (OmU): 27. 4. im Haus der Kulturen der Welt