: Die Uhr tickt bereits
Die Löhne vieler Zeitarbeiter müssen mit staatlichen Leistungen auf Hartz-IV-Niveau angehoben werden. Ein weiteres Problem: Spätestens ab 2011 droht Billigkonkurrenz aus den EU-Beitrittsländern
VON TILMAN VON ROHDEN
Die meisten Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren sind in der Zeitarbeitsbranche entstanden. 400.000 sollen es sein. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist die Zeitarbeit nach wie vor umstritten. Erschrocken sei sie, sagt SPD-Bundestagsmitglied Anette Kramme, als sie kürzlich den Lohnzettel eines Zeitarbeiters gesehen habe: 538 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle. „Das ist ein objektives Problem, davon kann man nicht leben.“
Einen Tariflohn bekommt der genannte Arbeiter wohl nicht, obwohl es in der Branche Tarife gibt. Während die zwischen dem DGB und der Arbeitgeberseite, Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) geschlossenen Verträge unterste Stundenlöhne in Westdeutschland zwischen 7,31 Euro (IGZ) und 7,38 Euro (BZA) vorsehen, haben die christlichen Gewerkschaften Haustarifverträge mit einem untersten Stundenlohn von weniger als 5 Euro abgeschlossen. Die Folge sei, so Friederike Posselt, Referatsleiterin für Tarifpolitik im Bundesvorstand des DGB, dass viele Zeitarbeitnehmer Aufstocker seien: Sie verdienen so wenig, dass sie mit staatlichen Leistungen auf das Hartz-IV-Niveau angehoben werden müssen.
Die Tarifierung der Branche hat für die Arbeitnehmer längst nicht alle Probleme gelöst. Die 2003 geschlossenen Tarifverträge seien für den DGB auch nur „ein erster Ausgangspunkt für die Entwicklung der Zeitarbeitsbranche“, sagt Posselt. Jetzt hoffen DGB wie Arbeitgeberverbände der Zeitarbeitsbranche auf ein neues Vertragswerk.
Beide Seiten streben die Aufnahme der Branche in das Arbeitnehmerentsendegesetz an. Gelingt dies, müssten alle Zeitarbeitsunternehmen den dort festgeschriebenen Mindestlohn zahlen. Er unterscheidet sich kaum von dem, was die DGB-Tarifverträge schon jetzt vorsehen. Warum also der ganze Aufwand?
SPD und DGB versprechen sich davon in vielen Fällen eine Erhöhung der Stundenlöhne für Zeitarbeitnehmer. Zu bedenken, ist, dass der DGB mit seinen Tarifverträgen nur zwei Drittel aller Zeitarbeitnehmer erreicht. Für Arbeitnehmer, die unter diesen Verträgen arbeiten, würde sich hinsichtlich des Lohns kaum etwas ändern. Für alle Arbeitnehmer, die auf Basis eines Tarifvertrages, den die christlichen Gewerkschaften abgeschlossen haben, würde sich die Lohnsituation jedoch deutlich verbessern.
Die Verbände der Zeitarbeitsunternehmen sind anders motiviert. Sie plädieren für die Aufnahme in das Entsendegesetz, weil die deutschen Zeitarbeitsunternehmen sonst ab 2009 oder spätestens 2011 unliebsame Billigkonkurrenz aus den EU-Beitrittsländern bekämen. Denn ab diesem Zeitpunkt dürfen Unternehmen aus den Beitrittsländern ihre Zeitarbeiter nach Deutschland entsenden. Dann könnten die Entleihbetriebe in Deutschland sich umorientieren und Zeitarbeiter aus dem billigen EU-Ausland buchen. Die an Tarifverträge gebundenen deutschen Zeitarbeitsunternehmen würden dann in vielen Fällen das Nachsehen haben. Noch gibt es Freizügigkeit für Zeitarbeitnehmer nicht, davor bietet auch das Entsendegesetz keinen Schutz. Wohl aber vor Niedriglöhnen, die deutsche Zeitarbeitsunternehmen nicht durchsetzen könnten.
Die Aufnahme in das Entsendegesetz ist aus Sicht des DGB nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn durch dieses Gesetz können nur einige, wenige grundlegende Dinge wie ein verbindlicher Mindestlohn geregelt werden. Für den DGB ist die Frage der Stundenlöhne allerdings nur das „markanteste Problem“, so Posselt. Die Ungleichbehandlung zeige sich auch bei anderen Regelungen. Oft würden Zeitarbeitnehmer bei der betrieblichen Urlaubsplanung nachrangig im Vergleich zur Stammbelegschaft behandelt. Bei finanziellen Zuschlägen und Jahressonderzahlungen seien Zeitarbeitnehmer ebenfalls oft benachteiligt. Posselt spricht von einer „Zweiklassengesellschaft“. Das Entsendegesetz könnte dies nicht ändern.
Da sich auch die Arbeitgeberseite nicht der Tatsache verschließt, dass „in einem Teil der Branche problematische Entwicklungen zu verzeichnen“ sind, haben sich BZA, IGZ und IG-Metall-Bezirk Frankfurt auf ein „Fairnessabkommen“ geeinigt. Es sieht beispielsweise vor, dass dreiseitige Vereinbarungen zwischen Kundenunternehmen, Zeitarbeitunternehmen und IG Metall geschlossen werden. Dadurch sollen die Zeitarbeitnehmer besser gestellt werden, als es derzeit üblich ist. So soll den Zeitarbeitnehmern ein „angemessener Anteil bei der weiteren Entwicklung der Branche gesichert“ werden. Dieses Abkommen hat zunächst nur für einige Bundesländer Bedeutung. Beim BZA spricht man aber schon von einer „neuen Politik“.